Agentur, immer noch DER Weg zum Erfolg? Und wenn, wie geht das WIRKLICH?

Eine neue Folge der Schreibdilettanten

In dieser Folge diskutieren wir die Rolle von Literaturagenturen auf dem Weg zum Erfolg für Autorinnen und Autoren. Früher galten Agenturen als Schlüssel zum Durchbruch und als einziger Weg, bei einem großen Publikumsverlag unterzukommen, aber ist das heute immer noch so? Wir beleuchten die Veränderungen und geben praktische Tipps.

Auf YouTube: https://youtu.be/Qne71oKfEbU?si=wvm2UGmNmcsn2wbB

Als Podcast: https://podcasters.spotify.com/pod/show/dieschreibdilettanten

Spannende Romananfänge à la Stephen King – Tipps und Beispiele

Denke ich an gelungene Einstiege in spannende Romane, denke ich vor allem an Stephen King, obwohl seine Romanfäge nicht gerade aus dem Lehrbuch stammen.

Ganz gleich, wie mir ein Roman von King im weiteren Verlauf gefällt (und oft gefallen mir seine Enden weniger gut), zu Beginn reißen sie mich immer mit. Grund genug, mich einmal näher damit zu beschäftigen, was denn eigentlich die Ursache für diese extreme Sogwirkung ist, die seine Geschichten von Anfang an entfalten.

Wie Stephen King (meistens) nicht beginnt

Stephen King ist ein Autor mit einer sehr eigenen Handschrift. Er ist in vielen Genres zu Hause und trotzdem erkennt man ihn stets wieder. Meiner Meinung nach sind seine Anfänge dafür mit verantwortlich.

(Vor allem der späte) King setzt sich meistens über einige Grundsätze hinweg. Spät rein, früh raus zum Beispiel.


Was bedeutet »Spät rein, früh raus«?

Das Prinzip »Spät rein, früh raus« stammt aus der Drehbuchszene und ist von mir frei übersetzt. Im Original lautet es »Late in, out early«.

Damit ist gemeint, dass du eine Szene stets so spät wie möglich beginnen und so früh wie möglich beenden solltest. Praktisch bedeutet dieses Prinzip, dass du deine Szene im ersten Entwurf so schreibst, wie du sie nun einmal gerne schreiben möchtest.

Beim Überarbeiten überlegst du dir dann, wo der Hauptkonflikt der Szene, also das wirklich Spannende, ist. Und dann schreibst du die Szene so lange um, bis sie möglichst nahe an diesem Punkt beginnt und auch endet.

Du streichst so gut wie möglich alles, was nicht absolut notwendig ist, um die Szene zu verstehen. Somit wird dein ganzer Roman straffer, rasanter, konfliktreicher und damit spannender.


Oft macht Stephen King das genaue Gegenteil von »Spät rein und früh wieder raus«. Er holt weit aus, erzählt viel von der Hintergrundgeschichte der Handlung, beschreibt lang und breit das Setting oder beginnt mit der ausführlichen Vorstellung einer Figur. Alles Dinge, die normalerweise dazu führen, dass ich einen Roman nach den ersten anderthalb Seiten in die Ecke pfeffere.

Bei King nicht. Das liegt meiner Beobachtung nach an einigen »Tricks«, die er am Anfang eines Romans häufig anwendet, und von denen jeder Autor profitieren kann:

1. Der starke emotionale Wandel einer Figur

Um mir darüber klarzuwerden, wie King den Sog der Gefühle von Anfang an entfaltet, habe ich einmal die Anfänge einiger Romane Revue passieren lassen. Hier ein paar willkürlich gewählte Beispiele:


  • Wahn: Edgar Freemantle erzählt davon, wie er den amerikanischen Traum lebte und wie ein Unfall diesen Traum jäh zum Platzen brachte.
  • Shining: Jack Torrence will eigentlich ein Bestseller-Autor werden, muss aber einen schäbigen Job als Hotelwächter am Arsch der Welt annehmen, um seine Familie durchzubringen.
  • Carrie: Carrie steht wie »ein Frosch unter Schwänen« mit ihren Schulkameradinnen unter der Dusche und wird verspottet, weil zum ersten Mal ihre Periode einsetzt.

In den vielen Fällen erzählt King einen Moment des starken emotionalen Wandels einer Figur. In seinen Ãlteren Romanen springt er noch häufiger in eine Szene hinein (Show don’t tell). Ich habe den Eindruck, dass er das in seinen neueren Romanen eher seltener tut. Trotzdem verlieren die Einstiege ihre emotionale Wirkung meistens nicht.

2. Starke Sätze mit voyeuristischem Inhalt

Der zweite Punkt, der die Magie von Kings Romananfängen für mich ausmacht, ist die Wirkung starker erster Sätze:


  • Wahn: »Mein Name ist Edgar Freemantle. Ich war mal eine große Nummer im Baugewerbe. Das war in Minnesota, in meinem anderen Leben.«
  • Shining: »Schmieriger kleiner Scheißkerl, dachte Jack Torrance.«
  • Carrie: »Der Duschraum war erfüllt von Rufen, Gelächter und dem beständigen Prasseln des Wassers auf dem gekachelten Fußboden. Die Mädchen hatten in der ersten Unterrichtsstunde Volleyball gespielt, und ihr morgendlicher Schweiß war leicht und frisch.«

Auf den ersten Blick haben die Sätze nicht viel gemeinsam. King bedient sich bei den jeweiligen Romananfängen unterschiedlicher Techniken.

In Wahn wird erzählt, in Shining bekommen wir einen Einblick in die Gedanken der Hauptfigur und in Carrie springen wir direkt ins Geschehen. Am konventionellsten empfinde ich hier noch den Beginn von Carrie (was vielleicht nicht weiter erstaunlich ist, da es sich ja um Kings Erstling handelt).

Stephen King geht also beim Schreiben eines spannenden Romans durchaus nicht nach Schema-F vor. Trotzdem verraten diese ersten Sätze eine große Gemeinsamkeit: Meiner Ansicht nach liefern uns alle drei Beispiele Einblicke in das Leben anderer Menschen, die uns normalerweise verborgen bleiben.

Edgar Freemantle erzählt von seinem Scheitern, etwas, das sonst niemand freimütig tut. In Shining erfahren wir, was der Bewerber insgeheim von seinem potenziellen, neuen Arbeitgeber hält und in Carrie werfen wir einen Blick in die Mädchendusche einer Schule (die wenigstens rund 50% der Menschheit normalerweise verborgen bleibt).

In den drei Beispielen wird der Voyeurismus des Lesers angesprochen. King nutzt keine große äußere Action oder gar Spannungselemente, Schocks oder Ekelszenen (wie man es vielleicht von einem Horror-Autor erwarten würde), sondern beginnt damit, uns bei unserer Neugier auf das zu packen, was uns im Alltag normalerweise verborgen bleibt.