Terry Pratchett und die Scheibenwelt: Eine praktische Liebeserklärung

Foto: Marcus Johanus, 2025 dank freundlicher Genehmigung des Verlags

1990 erschien Terry Pratchetts »Gevatter Tod« auf Deutsch. Damals war ich kurz vorm Abi, die Mauer war gefallen und ich war auf dem Höhepunkt meines Monty-Python-Fandoms … Der Roman kam also gerade richtig.

Er wurde damals im Freundeskreis herumgereicht. Angeregt vom witzigen, detailverliebten und sehr comicartigen Cover von Josh Kirby war ich neugierig.

Natürlich hatte ich zuvor schon Douglas Adams‘ »Per Anhalter durch die Galaxis« gelesen (ja, alle Teile). Und nicht nur im Klappentext, sondern auch in meinem Umfeld wurde Terry Pratchett als »der Douglas Adams der Fantasy« gehandelt.

Somit war ich maximal neugierig. Und ich wurde nicht enttäuscht. Ich habe das Buch in einer Sitzung durchgesuchtet und praktisch durchgängig schallend gelacht. Wahrscheinlich deswegen ist bis heute »Gevatter Tod« mein Lieblingsroman von Terry Pratchett.

Und natürlich holte ich schnell die drei davor erschienen Romane nach und las von dort an über zehn Jahre lang jedes neue Buch von Terry Pratchett. Eigentlich weiß ich gar nicht so genau, warum ich damit jemals aufgehört habe. Muss das Leben oder so sein, das dazwischen gekommen war.

Nun habe ich vor einer Weile beschlossen, einen Scheibenwelt-Re-Read zu starten, um auch die Bücher nachzuholen, die ich noch nicht kenne. Darüber werde ich fortan in unregelmäßigen Abständen hier berichten.

Als hoffnungsloser Komplettist habe ich natürlich ganz am Anfang mit »Die Farbe der Magie« und »Das Licht der Fantasie« begonnen (beide im Piper-Verlag 2015 zuletzt auf Deutsch erschienen, 256 bzw. 288 Seiten stark und jeweils für 12 Euro im Taschenbuch erhältlich). Warum ich zwei Romane in einem Abwasch abhandle, erkläre ich noch.

Eine kleine Warnung vorne weg. Ich bin keineswegs neutral. Ich habe Terry Pratchett in mein Herz geschlossen. Die Scheibenwelt-Romane haben mich so lange Jahre intensiv, eigentlich den größten Teil meines Lebens begleitet.

Was ich damit sagen will: Ich bin ein Fanboy. Und deswegen wird das hier auch ein ziemlich langer, detailverliebter und etwas rührseliger Beitrag.

Wie war Terry Pratchett persönlich?

Ich glaube, man versteht die Scheibenwelt und vor allem ihre Wirkung auf viele Menschen nicht, wenn man sich nicht auch ein wenig mit ihrem Autor auseinandersetzt. Pratchetts Persönlichkeit, sein Auftreten und vor allem seine poesiealbumwürdige Zitate aus hunderten von Interviews tragen massiv zum Erfolg seiner Bücher bei.

Mehr noch als je zuvor müssen ja Autoren und Autorinnen heutzutage auch medientauglich sein. Der Konsum ihrer Texte reicht vielen schon lange nicht mehr. In Zeiten von Social Media möchten viele auch den vermeidlich persönlichen Kontakt mit ihren Idolen.

Hier war Terry Pratchett gewissermaßen Vorreiter. Zwar war Facebook, YouTube, BookToc & Co., ja, sogar das Internet, noch kein wesentlicher Faktor zu Beginn seiner Karriere. Aber dafür nahm er alle Gelegenheiten für Interviews, Lesungen, Signierstunden und vor allem Messen und Convention wahr, um im engen Kontakt mit seinem Publikum zu stehen.

Auch in diesem Bereich war der Schöpfer der Scheibenwelt ein Arbeitstier. Ich habe mich damals gefragt, wie jemand, der so viel in der Öffentlichkeit steht, überhaupt noch zum Schreiben kommen kann.

Aber Terry Pratchett meisterte offenbar alle Herausforderungen. Schreibblockade war für ihn ein Fremdwort, denn er schaffte es ja nicht nur Bücher zu schreiben, während er gleichzeitig durch die Welt zog und Interviews am Fließband lieferte. Er schrieb gleich mehrere Bücher pro Jahr.

Leider hatte ich trotz seiner ausufernden Präsens nie die Gelegenheit Sir Pratchett persönlich zu begegnen (was schon fast an ein Wunder grenzt). Aber immerhin hatte ich mal ein Interview via E-Mail mit ihm geführt.

Meine Güte, war ich damals als junger Erwachsener beeindruckt, dass ein echter, lebendiger Autor, einer, der wirklich nicht nur vom Schreiben leben kann, sondern ein internationaler BestsellerAutor, ja, ein Star, ist, sich die Mühe gibt, und mir kleinem Licht ein Interview gewährt.

Und natürlich waren Terry Pratchetts Antworten auf meine Fragen wie seine Bücher gleichzeitig witzig und weise.

Das Interview geschah nicht anlasslos. Damals stand ich in Kontakt mit dem Pegasus-Verlag. Als ich erfahren hatte, dass dort die deutsche Ausgabe von GURPS Discworld veröffentlichen würde, fragte ich, ob ich da als großes Pratchett-Fan nicht irgendwie mitwirken könnte.

Es wurde beschlossen, dass ich ein wenig Promo-Material für den Ringboten, das Rollenspielmagazin des Verlags, verfassen sollte. Eine Einführung in die Scheibenwelt und eben ein Interview mit Pratchett zum Thema Rollenspiele.

Leider sind beide Texte inzwischen verschollen. Beim Ringboten sind sie nicht mehr online und ich finde sie in meinem Backup-Chaos unterschiedlicher Festplatten nicht mehr.

Macht aber nichts, denn natürlich kann ich mich nahezu wortwörtlich an das Interview erinnern (was unter anderem daran liegt, dass es sehr kurz ist, aber natürlich vor allem, weil es mich so sehr beeindruckt hat).

Ich fragte Sir Terry damals danach, ob er denn Rollenspiele überhaupt kenne und ob er überhaupt wüsste, was da mit GURPS und seiner Scheibenwelt angestellt werde. Und wenig überraschend stellte sich heraus, dass Terry Pratchett D&D-Spieler war, allerdings kein aktiver mehr.

Wer die Scheibenwelt-Romane kennt und selbst Pen & Paper-Rollenspiele spielt, ist darüber natürlich nicht erstaunt, denn die Bücher strotzen nur so vor Parodien auf Rollenspiel-Tropen. Und natürlich wusste er auch sehr gut über diese Rollenspiel-Lizenz Bescheid und freute sich darüber, dass zukünftig Fans auch in seiner Welt auf diese Weise spielen konnten.

Natürlich musste ich Pratchett fragen, warum er nicht mehr spielte und er antwortete salopp, »Because live is too short to argue about a +1 sword.« («Das Leben ist kurz, um sich über ein +1-Schwert zu streiten.«). Ein Motto, das ich mal auf ein T-Shirt drucken muss.

Außerdem fragte ich ihn nach seiner besten Rollenspielerfahrung. Er erzählte daraufhin die Anekdote, wie er eines Abends auf einer Dienstreise mit zwei älteren Damen gelangweilt an einer Bar gesessen habe. Um sich die Zeit zu vertreiben schlug er vor, ein kurzes Dungeon zu spielen.

Natürlich hatten die Damen keine Ahnung von Rollenspielen, ließen sich aber trotzdem darauf ein.

Pratchett meinte, natürlich scherzhaft, dass ihn dieser Abend nachhaltig traumatisiert habe. Denn die Damen hätten das Dungeon nicht nur gelootet. Das erste und einzige Mal in seinem Leben habe er erlebt, wie ein Dungeon vergewaltigt wurde.

So, Moment, ich muss mir eine Träne der Rührung aus dem Augenwinkel wischen, die auch eine Lachträne sein könnte (so genau weiß man das bei Pratchett ja nie) bevor ich weiter schreiben kann …

Aber wer ist denn nun dieser Terry Pratchett eigentlich, von dem immer noch alle reden?

Terry Pratchett wurde 1948 in Beaconsfield, Buckinghamshire, geboren, als Sohn eines Mechanikers und einer Sekretärin. Ich finde es bezeichnend, dass er aus keinem Akademiker-Haushalt stammt. Dazu gleich mehr.

Pratchetts literarische Affinität zeigte sich früh. Mit 13 wurde seine erste Kurzgeschichte »The Hades Business« in einer Schülerzeitung veröffentlicht.

Pratchett machte gleich im Anschluss an seine Schulzeit eine Ausbildung zum Journalisten und arbeitete als Pressesprecher, bis er recht früh seinen Brotjob dank seiner literarischen Erfolge an den Nagel hängen konnte.

Für mich leben die Scheibenwelt-Romane vom angloamerikanischen Common Sense. Im positiven Sinne. Sie sind nicht verkopft oder abstrakt, gleichzeitig aber auch nicht flach oder trivial. Vor allem aber sind sie immer handwerklich solide und extrem lesbar.

Mit anderen Worten: Sie sind raffiniert, aber bodenständig. Eine Mischung, die mir extrem gut gefällt und die wahrscheinlich auch in Pratchetts Kinderstube und Werdegang begründet ist.

1968 heiratete er Lyn Purves, 1976 wurde ihre Tochter Rhianna Pratchett geboren, die später ebenfalls Schriftstellerin und Drehbuchautorin wurde und bis heute ist. Pratchett blieb sein Leben lang ein Familienmensch.

Und so ein bisschen überträgt sich dieser Familiensinn auch auf den Umgang mit seinen Fans. Trotz des wachsenden Ruhms pflegte er engen Kontakt zu seinem Publikum , schrieb Briefe, besuchte Conventions, und begegnete allen stets auf Augenhöhe.

Ja, man kann es nicht anders sagen: Die Scheibenwelt-Cumminty hat etwas Familiäres. Wahrscheinlich mit einer der Gründe, warum ich als Familienmensch diese Romane so sehr ins Herz geschlossen habe.

Ab Mitte der 1980er-Jahre wurde Terry Pratchett zum Vollzeitautor. Seine Disziplin war legendär. Er schrieb mindestens einen Roman pro Jahr, oft mehr, dazu kamen zahllose Interviews, Auftritte und Lesungen. Müßiggang war für Sir Terry ein Fremdwort.

Terry Pratchetts Arbeitsmoral, aber auch seine Schreibroutine wurde einmal besonders prägnant von Neil Gaiman auf den Punkt gebracht, als er von ihrer Zusammenarbeit am Roman »Ein gutes Omen« berichtete.

Gaiman zufolge saß er mit Pratchett zusammen und sie kamen auf die Idee, doch mal gemeinsam ein Buch zu schreiben. Gaiman war begeistert und meinte, er würde gerne etwas über Engel und Dämonen schreiben.

Als er wenige Monate später mit Pratchett telefonieren wollte, um die Idee konkreter zu machen, sandte dieser ihm das fertige Manuskript des Romans zu.

Wahrscheinlich ist diese Anekdote ein wenig übertrieben, aber von der Tendenz her bestimmt treffend.

Trotz dieses gewaltigen Pensums, das einen Bestseller nach dem anderen produzierte, blieb Terry Pratchett bei seinen öffentlichen Auftritten bescheiden und war sich seiner Verantwortung als Autor stets bewusst. 1998 wurde er wohl auch deswegen Officer of the Order of the British Empire, 2009 schließlich Sir Terry Pratchett, geadelt für seine Verdienste um die Literatur.

Er beschrieb dieses Verdienst einmal auf seine unverwechselbare selbstironische und gleichermaßen gesellschaftskritische Art, die aber nie bitter war, folgendermaßen:

Bibliothekare würden ihn häufig darauf ansprechen, wie dankbar sie ihm seien, dass er die Scheibenwelt-Bücher schreibe. Denn es kämen sehr viele gerade junge Menschen in die Biblitohek, um sich seine Romane auszuleihen. Und meisten würden sie dann früher oder später auch richtige Bücher lesen.

In seinen letzten Lebensjahren kämpfte Terry Pratchett gegen posterior cortical atrophy, eine seltene Form von Alzheimer, die vor allem sein Sehvermögen beeinträchtigte. Doch er schrieb weiter. Bis kurz vor seinem Tod am 12. März 2015 blieb er kreativ.

Mich macht es heute noch und gerade, während ich das hier schreibe, unglaublich traurig, wie früh Terry Pratchett gehen musste. Es hätte noch so viele Bücher gegeben, die er hätte schreiben können. Und wer weiß, vielleicht hätte ich ihn dann doch einmal auf einem Con oder einer Lesung treffen können.

Nun denn, vergossene Milch.

Eine Weile nach seinem Tod kursierten Gerüchte, seine Tochter Rhiana würde sein Erbe antreten und weitere Scheibenwelt-Romane schreiben. Aber sie entschied sich dann doch dagegen. Eine Entscheidung, die ich einerseits sehr bedauere. Andererseits empfinde ich großen Respekt vor ihr.

Denn ganz bestimmt ließen sich mit neuen Scheibenwelt-Romanen, die nicht nur von irgendeinem Ghostwriter, sondern sogar von seiner Tochter verfasst werden würden, noch eine Menge Geld verdienen.

Andererseits macht es die existierenden Bücher natürlich um so kostbarer.

Mit welchem Buch sollte man in die Scheibenwelt einsteigen?

Okay, kommen wir endlich zum eigentlichen Thema des Beitrags. Meinen Leseerfahrungen mit der erneuten Lektüre der ersten beiden Scheibenwelt-Romane.

Aber ich warnte ja bereits davor, dass das hier ein wenig emotional und ausschweifend werden würde. Um so schöner, dass du noch dabei bist. 🙂

»Die Farbe der Magie« (The Colour of Magic, zuerst 1983 im Original und 1985 auf Deutsch veröffentlicht) war der erste Scheibenwelt-Roman. Die Welt ist hier der eigentliche Star, eine flache Scheibe, getragen von vier Elefanten, die auf dem Rücken der Schildkröte Groß A’Tuin durch das All gleitet.

Klingt absurd? Ist es auch. Aber genau darin liegt die Magie. Und vor allem der Humor der Scheibenwelt-Romane.

Die Handlung des Romans ist episodisch. Eine Reise quer über die Scheibenwelt: Im Zentrum steht der unfähige Zauberer Rincewind, der nur einen einzigen Zauberspruch im Kopf hat, der ausgerechnet einer der acht Sprüche des Oktavo ist, des mächtigsten Zauberbuchs der Welt.

Rincewind trifft auf den naiven Touristen Zweiblum (Twoflower) aus dem geheimnisvollen Imperium Agatea. Zweiblum ist der erste Tourist der Welt, bewaffnet mit Gold, grenzenlosem Optimismus und seiner magischen, belebten Truhe (Luggage), die auf hundert kleinen Beinen läuft und alles verschlingt, was ihr gefährlich wird (Insider erkennen hier die Mimics aus D&D wieder).

Rincewind, der zufällig den naiven Touristen begleiten muss, ist ängstlich, zynisch, und meist auf der Flucht, ein Antiheld, der seine ganze Trotteligkeit nur durch Zufall überlebt.

Gemeinsam reisen sie durch die Stadt Ankh-Morpork, die Weiten der Scheibenwelt, über die Wüste, in fliegende Städte, bis an den Rand der Welt, in Dimensionen jenseits des Begreifbaren. Sie begegnen Göttern, Barbaren, Magiern, und immer wieder droht die Welt buchstäblich über den Rand zu kippen. Dabei wird jedes klassische Fantasy-Klischee aufs Korn genommen: der mächtige Zauberer, das „große Abenteuer“, die fremden Länder …

Der grundlegende Witz des Romans stellt auch gleichermaßen seine tiefere Weisheit dar.

Während Rincewind ein zuckendes Nervenbündel ist, das hinter jeder Ecke lebensbedrohliche Gefahren wittert (und das meisten sogar zurecht), ist Zweiblum die personifizierte Naivität und ein grenzenloser Optimist.

Und obwohl diese Blindheit gegenüber allen Gefahren das ungleiche Paar immer wieder in existenzielle Schwierigkeiten manövriert, ist es auch eben diese Eigenschaft, beziehungsweise eigentlich die Kombination beider Eigenschaften, was die beiden überleben lässt.

Einerseits ist dieser erste Roman untypisch für eine Scheibenwelt-Geschichte. Die Romane ab »Das Erbe des Zauberers« leben davon, dass sie mehr oder weniger einen bestimmten Teil der Scheibenwelt genauer vorstellen. Setting und Figuren dienen dann dem Zweck, ein bestimmtes Thema parodistisch von verschiedenen Seiten zu beleuchten.

»Die Farbe der Magie« hingegen stellt die ganze Scheibenwelt einmal querschnittartig vor. Wahrscheinlich brauchte Pratchett das selbst für sein Worldbuilding. Vielleicht rechnete er auch nicht damit, dass aus diesen Fantasy-Parodien jemals so eine erfolgreich Serie werden würde., weswegen er alle seine Ideen in einen Roman quetschen wollte.

Aber andererseits besitzt schon der erste Scheibenwelt-Roman das entscheidende Merkmal, das alle Bücher des Meisters großartig macht. Es werden eben nicht nur zahlreiche Fantasy-Klischees urkomisch, meisterhaft und scharfsinnig parodiert und doch gleichzeitig gefeiert.

»Das Licht der Fantasie« (The Light Fantastic, 1986, deutsch 1989), die direkte Fortsetzung, greift den Faden unmittelbar wieder auf und setzt genau dort an, wo »Die Farbe der Magie« endete: Rincewind und Zweiblum stürzen über den Rand der Welt und werden durch den Oktavo, das uralte Zauberbuch, gerettet.

Der Oktavo enthält acht mächtige Sprüche, die die Realität der Scheibenwelt stabilisieren. Doch einer der Sprüche hat sich – gegen alle Regeln – in Rincewinds Kopf eingenistet. Und das droht, die Welt zu zerstören. Der rote Stern nähert sich, die Welt droht zu verglühen, und nur die acht Sprüche des Oktavo können sie retten.

Intrigen innerhalb der Unsichtbaren Universität, der Zauberer-Akademie der Scheibenwelt, apokalyptische Vorzeichen, der Kampf zwischen Magie, Wissenschaft und gesundem Menschenverstand … Hier entsteht jene Mischung aus Humor und Tiefe, die Pratchetts Werk prägen sollte.

Während ein roter Stern auf Kollisionskurs ist, breitet sich das Chaos aus. Rincewind, Zweiblum und Truhe reisen durch magische Wälder, fliegende Läden und schließlich zurück nach Ankh-Morpork, während der ehrgeizige Zauberer Trymon versucht, die Macht des Oktavo an sich zu reißen.

Schließlich spricht Rincewind alle acht Sprüche, rettet die Welt, und Zweiblum kehrt nach Hause zurück. Die Scheibenwelt ist gerettet. Ich kann hier mit gutem gewissen spoilern, denn die Handlung ist weder überraschend noch das Wesentliche am Roman.

Diese beiden frühen Romane bilden zusammen vielmehr die eigentliche Geburtsstunde des gesamten Zyklus. Eigentlich sind sie ein Roman. Ich vermute, es war eine Verlagsentscheidung, die Geschichte auf zwei Bücher zu verteilen, weil irgendwelchen Gatekeepern 600 Seiten von einem unbekannten Autor eine zu große Investition gewesen wäre.

Im Gegensatz zu allen folgenden Scheibenwelt-Romanen kann man »Das Licht der Fantasie« nicht ohne »Die Farbe der Magie« lesen.

Die Story beider Bücher besteht im Grunde aus Reisegeschichten, einer Erkundung der Scheibenwelt. Sie verbinden Abenteuer und Parodie und lassen das Publikum aus der Perspektive der Figuren die Welt entdecken, ohne sie schon vollständig zu erklären.

Diese Offenheit macht den Reiz der Bücher aus. Sie zeigen den Entstehungsprozess der Scheibenwelt quasi im Werden. Pratchett erschuf hier die Landkarte seines Kosmos: Orte, Konzepte, Kulturen. Aber auch eine Skizze seiner späteren Themen.

Wie ist die Reihenfolge der „Scheibenwelt“-Romane?

Nun, ich habe ja gerade geschrieben, dass »Das Licht der Fantasie« nicht alleine stehen kann und nach »Die Farbe der Magie« gelesen werden muss. Das stimmt, stimmt aber auch wieder nicht.

Für das Lesevergnügen ist diese Reihenfolge schon wichtig. Für das Verständnis eher nicht. Denn da die Handlung der beiden Bücher ist eher episodisch. Es gibt kaum einen roten Faden. Zumindest ist er so unaufdringlich, dass man die Reihenfolge auch vertauschen kann, ohne zu sehr verwirrt zu werden.

Ich würde allerdings auch bezweifeln, ob man diese beiden Romane überhaupt zuerst oder überhaupt lesen muss, um die Scheibenwelt zu genießen.

Wie eingangs schon erwähnt, habe ich mit »Gevatter Tod« begonnen. Und das hat für mich super funktioniert.

Ich würde also mal behaupten, man kann mit mehr oder weniger jedem Scheibenwelt-Roman einsteigen. Die früheren sind vielleicht ein bisschen besser geeignet als die späteren.

Ich würde bestimmte Phasen unterscheiden. Die ersten Romane führen einige Figuren ein, die dann immer mal wieder einen Roman gewidmet bekommen. Rincewind, Oma Wetterwachs, TOD, Karotte usw. sind wiederkehrende Figuren, die immer mal wieder einen Roman gewidmet bekommen.

Es gibt in diesem Sinne also nicht die eine Hauptfigur der Scheibenwelt. Ich erwähnte ja bereits, der eigentlich Star der Romane ist die Welt selbst.

Ich denke also, der beste Einstieg wäre einer der früheren Romane, in denen eine der wichtigen Figuren vorgestellt wird. Demzufolge wären es also diese Romane, die ich für Scheibenwelt-Neulinge empfehlen würde:

  • Das Erbe des Zauberers
  • Gevatter Tod
  • Der Zauberhut
  • Wachen! Wachen!

Aber wie gesagt, man kann eigentlich alle nehmen. Hier zur Übersicht die vollständige Liste aller auf Deutsch erschienenen Scheibwenwelt-Romane:

  1. Die Farben der Magie
  2. Das Licht der Phantasie
  3. Das Erbe des Zauberers
  4. Gevatter Tod
  5. Der Zauberhut
  6. MacBest
  7. Pyramiden
  8. Wachen! Wachen!
  9. Die Farben der Magie – Eric
  10. Voll im Bilde
  11. Alles Sense
  12. Total verhext
  13. Einfach göttlich
  14. Lords und Ladies
  15. Helle Barden
  16. Rollende Steine
  17. Echt zauberhaft
  18. Mummenschanz
  19. Hohle Köpfe
  20. Schweinsgalopp
  21. Fliegende Fetzen
  22. Heiße Hüpfer
  23. Ruhig Blut!
  24. Der fünfte Elefant
  25. Die volle Wahrheit
  26. Der Zeitdieb
  27. Wahre Helden
  28. Maurice, der Kater
  29. Die Nachtwächter
  30. Kleine freie Männer
  31. Weiberregiment
  32. Ein Hut voller Sterne
  33. Ab die Post
  34. Klonk!
  35. Der Winterschmied
  36. Schöne Scheine
  37. Der Club der unsichtbaren Gelehrten
  38. Das Mitternachtskleid
  39. Steife Prise
  40. Toller Dampf voraus
  41. Die Krone des Schäfers (kein Roman, sondern eine »Märchensammlung« der Scheibenwelt)

Es gibt noch den Ausnahme-Romane »Strata«. Eigentlich ein Science-Fitciton-Roman, in dem aber auch die Scheibenwelt kurz auftaucht. Ich hatte da mal reingeguckt, aber, um es vorsichtig zu sagen, ich gewann den Eindruck, dass Pratchett hier noch geübt hat. Um diesen Roman ganz zu lesen bin ich noch nicht Komplettist genug.

Terry Pratchett hat außerdem mehrere »Sachbücher« aus der Sicht von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Scheibenwelt verfasst:

  • Die Gelehrten der Scheibenwelt
  • Die Philosophen der Rundwelt
  • Darwin und die Götter der Scheibenwelt
  • Das jüngste Gericht
  • Die Wissenschaft der Scheibenwelt

Ich habe die aber alle nicht gelesen. Vielleicht braucht man sie, vielleicht nicht. Früher oder später werde ich da mal reingucken, wahrscheinlich, wenn ich in Rente bin.

Wie viele Bücher hat Pratchett geschrieben?

Oha. Wer über den Rande der 41-Scheibenwelt-Romane hinausblicken will, hat noch ganz schön was vor sich. Ich schätze mal, es sind so rund 70. Eine exakte Zahl ist hier meiner Ansicht nach nicht weiter wichtig, denn wer weiß schon, was vielleicht noch frühe oder später aus den Archiven hervorgeholt wird.

Außerdem sind viele Romane auch in Sammelbänden zusammengefasst worden.

Und alles muss man, wie gesagt, nun bestimmt auch nicht lesen.

Der Vollständigkeit halber zähle ich auch die Nicht-Scheibenwelt-Bücher auf, damit alle Informationen an einem Ort sind:

Johnny-Maxwell-Bücher:

  • Nur Du kannst die Menschheit retten
  • Nur Du kannst sie verstehen
  • Nur Du hast den Schlüssel

Das sind im Prinzip Jugendbücher (die Scheibenwelt-Romane würde ich ja als All-Age-Bücher beschreiben). In diesem Sinne sind die Johny-Maxwell-Romane eigentlich auch für alle gedacht. Ich habe diese Romane ganz gerne gelesen, aber sie sind bestimmt kein Muss.

Nomen-Trilogie:

  • Trucker
  • Wühler
  • Flügel

Da habe ich mal reingeguckt, hat mich aber nicht angezeckt.

Stand Alone:

  • Dunkle Halunken
  • Die Teppich-Völker
  • Die dunkle Seite der Sonne
  • Maurice, der Kater

Dazu kommt noch die »Lange Erde«-Serie, die Pratchett zusammen mit Stephen Baxter schrieb. Die kenne ich so gut wie gar nicht, aber nach allem, was ich weiß, ist sie eher von Baxter nach einer Idee von Pratchett verfasst worden.

Alles Bücher, die man lesen kann, aber nicht muss, finde ich. »Maurice, der Kater« ist ja verfilmt. Deswegen vielleicht irgendwie noch herausragend. Und offiziell auch irgendwie Teil der Scheibenwelt, aber nun wirklich kein zentraler.

Es gibt noch einige Kurzgeschichtensammlungen, aber diese hier aufzulisten, führt ein wenig zu weit. Zumal da wahrscheinlich über die Jahre immer mal wieder ein paar erscheinen werden. Früher oder später wird auch noch die letzte Notiz Pratchetts zwischen zwei Buchdeckel gepresst.

Vielleicht schreibe ich dazu mal einen eigenen Blogbeitrag. Der hier ist ohnehin schon viel zu lang.

Was ist das Wichtigste an der Scheibenwelt?

Pratchett steht in einer langen Tradition der Old School Fantasy, aber er überwindet sie zugleich. In seinen frühen Romanen spürt man die Einflüsse von Fritz Leiber (mit seinem ironischen Heldenpaar Fafhrd und Gray Mouser, aber auch mit dem Setting der Stadt Lankhmar, die nicht zufällig ein wenig nach Ankh-Morpork klingt), von Robert E. Howard (Conans archaische Abenteuerwelten), von H.P. Lovecraft (das kosmische Grauen und die Ahnung des Unbegreiflichen), von Michael Moorcock (die Idee des Antihelden im Multiversum) und natürlich von J.R.R. Tolkien (sehr offensichtlich).

Pratchett kannte diese Autoren, liebte sie und entlarvte trotzdem (oder deswegen) ihre Konventionen und Schwächen.

Mit anderen Worten: Die Scheibenwelt ist in gewisser Weise echter als alle anderen Fantasy-Welten und hat zum Thema, was denn geschehen würde, wenn diese ganzen Fantasy-Absurditäten auf eine mehr oder weniger realistische Welt treffen würden. Komik ist da vorprogrammiert.

Damit nimmt Pratchett eine einzigartige Position ein: Er ist ein Old-School-Autor, weil er aus genau dieser Tradition kommt, aber er ist zugleich ihr ironischer Erbe, der das Genre liebevoll seziert und in etwas Neues verwandelt.

Pratchett revolutionierte damit das Genre der Funny Fantasy. Zuvor dominierte Robert Asprin diese Sparte mit seinen Dämonen-Romanen, die keineswegs zu verachten sind. Was Aspirins Büchern jedoch fehlt ist die zusätzliche Ebene, die jeder Pratchett-Roman aufweist. Die Ebene, die aus dem Fantastischen in die Realität reicht.

Abgesehen davon parodiert Asprin nicht das Genre. Er erzählt »nur« lustige Fantasy-Geschichten.

Aber Pratchetts Einfluss reichte weit über die Grenzen der Funny Fantasy hinaus. Er war nicht nur ihr wichtigster Vertreter, sondern auch einer der meistgelesenen britischen Autoren seiner Zeit.

Er bewies, dass man über Fantasy lachen kann, ohne sie zu verachten. Er kombinierte britischen Humor mit philosophischer Tiefe und Satire mit Empathie. Seine Romane sind gleichzeitig Parodie, Spiegel und Liebeserklärung.

Er war zugleich ein Humorist und ein Humanist. Hinter jedem Roman stand eine ernsthafte Frage: nach Moral, Macht, Verantwortung, Tod, Fortschritt oder der Würde des Menschen. Diese Verbindung aus Leichtigkeit und Tiefe machte ihn für mich einzigartig.

P.S.: Gibt es Fortsetzungen, Spin-Offs, Merchandise und/oder Filme?

Ähnlich wie bei Michael Moorcocks Elric wünschte ich mir einmal eine Umsetzung der Scheibenwwelt als Animationsfilm. Man stelle sich nur einmal vor, Josh Kirbys ikonische Coverillus würden auf der großen Leinwand umgesetzt werden. Ein Traum.

Aber im Gegensatz zu Moorcock ist Pratchett bereits verfilmt worden. Zwar nicht fürs Kino, sondern fürs Fernsehen, aber gar nicht mal so schlecht.

Ja, die Filme sind nicht genial. Aber solide. Teile von Pratchetts Humor bleiben auf der Strecke. Leider. Und auch etwas unverständlich. Immerhin hat die BBC die Bücher umgesetzt. Warum man da nicht mal kurz bei John Cleese oder anderen verbliebenen Mitgliedern von Monty Python geklingelt hat, um sich humortechnisch beraten zu lassen, ist unverzeihlich.

Aber dafür tritt Sir Terry in den Verfilmungenin kleineren Rollen selbst auf. Allein das macht sie für mich heute sehenswert.

Mit anderen Worten: Wenn man bereits großer Scheibenwelt-Fan ist, bereiten die TV-Filme irgendwie Spaß. Allerdings eher wie Urlaubsfotos, bei denen man nostalgisch denkt »Ja, ja, so war das. Aber in echt war alles irgendwie viel schöner.«

Sie werden wahrscheinlich niemanden begeistern, der die Bücher nicht gelesen hat, weil die wahre Magie der Scheibenwelt und vor allem von Pratchetts Humor sich hier nicht entfaltet.

Natürlich gibt es auch Scheibenwelt Rollenspiele. GURPS Scheibenwelt erwähnte ich bereits. Aber es gibt auch ein aktuelles Discworld-Rollenspiel.

Ich muss allerdings gestehen, dass ich beides nie gespielt habe. Mein Respekt vor Pratchetts Humor ist einfach zu groß und die Gefahr, dass ich beim Spielen das Gefühl hätte, nur einen trivialen Abklatsch der Romane zu erleben, würde mir den Spaaß verderben.

Aber nach allem, was ich vom neuen Discworld-Rollenspiel gelesen habe, wirkt es auf mich recht solide. Irgendwann lege ich es mir bestimmt zu.

Von GURPS Discworld würde ich eher abraten. Man bekommt es bestimmt gebraucht hier und da ganz gut. Und ich habe es damals auch gelesen. Zum Lesen ganz gut. Aber wer GURPS als Regelwerk kennt, ahnt wohl, dass beides nicht zusammenpasst.

Und auch Comics gibt es natürlich von der Scheibenwelt, genauso wie viele Begleitbücher.

Doch das sind alles Dinge, über die ich ein anderes Mal schreiben werde.

Jetzt lese ich erst einmal »Das Erbe des Zauberers«.