Brandon Sandersons »Der Weg der Könige« – Tradition oder Trend?

Brandon Sandersons »Der Weg der Könige« in der deutschen Taschenbuchausgabe von Heyne.
Foto von Marcus Johanus, 2025 mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Brandon Sanderson ist zurzeit der hellste Stern am Fantasy-Himmel. Man kommt an ihm nur schwer vorbei. Endlich habe auch ich es geschafft, in sein groß angelegtes Epos, die SturmlichtChroniken, einzusteigen. Kürzlich las ich den ersten Band »Der Weg der Könige«, der 2011 im Heyne-Verlag auf Deutsch erschien. Er umfasst 887 Seiten und ist für 18 Euro im Taschenbuch erhältlich.

Vom Lesemuffel zum Fantasy-Giganten

Brandon Sanderson, geboren 1975 in Lincoln, Nebraska, gehört heute zu den prägenden Autoren der zeitgenössischen Fantasy. Dabei sah es lange nicht danach aus. Als Jugendlicher las er kaum, bis Tolkiens Der Hobbit seine Begeisterung für Fantasy weckte.

Nach ersten Schreibversuchen studierte Sanderson Kreatives Schreiben. Dabei entwickelte er bereits viele der Ideen, die später in seinen großen Zyklus – das Cosmere – einfließen sollten. Das Cosmere verbindet alle seine Fantasy-Romane, da deren Welten, Magiesysteme und Figuren subtil aufeinander verweisen.

Heute gilt Sanderson nicht nur als einer der produktivsten, sondern auch als einer der einflussreichsten Fantasy-Autoren überhaupt.

Eine Welt aus Sturm und Magie

»Der Weg der Könige« ist der epische Auftakt einer noch viel epischeren Fantasy-Saga, in der es um politische Intrigen, Spiritualität und aufkeimende, aber gleichzeitig uralte Magie geht und die aus mehreren Perspektiven erzählt wird.

Die Geschichte spielt auf dem sturmumtosten Kontinent Roschar. Die titelgebenden Stürme spielen eine große Rolle, denn sie sind nicht nur ein Naturphänomen, sondern bilden auch den Ursprung der Magie. Sie stellen gleichermaßen eine Bedrohung, aber auch eine Quelle von Macht dar.

Diese Macht wussten in der Vergangenheit vor allem die Strahlenden Ritter zu nutzen, die Roschar Jahrtausende lang regierten. Sie verfügten über sogenannte Splitterklingen, magische Waffen, die aus einem speziellen Gestein bestehen und mit Sturmenergie aufgeladen werden.

Sie sind übermenschlich große Schwerter. Jede ist individuell, aber alle verfügen über glatte, perfekte Linien, leuchten oder schimmern und sind grotesk schön. Vor allem aber sind sie unglaublich scharf. Sie durchschneiden jede unbelebte Materie (Stein, Metall, Holz) mühelos.

Gegen Lebewesen wirken sie nicht wie ein normales Schwert: Statt Blut zu vergießen, trennen sie die Seele vom Körper. Ein Arm, den eine Splitterklinge trifft, ist augenblicklich taub und nutzlos. Ein Schlag ins Herz oder ins Gehirn tötet sofort.

Wer eine Splitterklinge besitzt, hat enorme Macht – nicht nur im Kampf, sondern auch sozial. In Roschar sind Klingen erblich und nur Adelige oder besondere Krieger haben Zugriff darauf.

Die Strahlenden Ritter und ihre Herolde sind inzwischen verschwunden. In diesem Machtvakuum droht Roschar zu verfallen.

Eine Geschichte, die epischer nicht sein könnte

Die Handlung von »Der Weg der Könige« beginnt damit, dass ein Assassine im Auftrag der Parshendi, die das Reich Alethkar bedrohen, König Gavilar Kholin von Alethkar ermordet. Damit werden alle Hoffnungen auf einen Frieden zwischen den Nationen begraben.

Eine besondere Dimension des Attentats: Der König wurde mit einer Splitterklinge ermordet.

Eine uralte Prophezeiung besagt, dass, wer das Geheimnis um die Herkunft der Splitterklingen lüften kann, die Einheit des Reiches wieder herstellen und den Frieden bewahren kann. Vor allem könne somit die Rückkehr der Bringer der Leere verhindert werden, mächtige Wesen, die die Apokalypse über die Menschheit bringen sollen.

Roschar ist physikalisch und kulturell einzigartig. Die ständigen Stürme, die sogenannten Hochstürme, prägen nicht nur die Geografie, sondern auch das Leben der Bewohner.

Pflanzen ziehen sich bei Berührung zurück, Tiere entwickelten harte Panzer, um den widrigen Bedingungen zu trotzen, und die Menschen haben Techniken entwickelt, die sich an die extremen Bedingungen anpassen.

Sanderson hat mit Roschar ein komplettes biologisches und soziales Ökosystem entwickelt, das bis ins letzte Detail durchdacht ist. Damit steht er tatsächlich den großen klassischen Weltenschöpfern des Genres wie J.R.R. Tolkien oder Frank Herbert in nichts nach. Eher übertrifft er sie in Tiefe, Detailreichtum und Konsistenz.

Drei Schicksale in einer zerrissenen Welt

Die Figuren des Romans leben inmitten von Krieg, Verrat und uralten Rätseln. Sie suchen Ehre, Verantwortung und den Sinn in einer chaotischen und von Konflikten geprägten Welt. Während die Ereignisse voranschreiten, wird klar, dass Roschars Vergangenheit dunkle Geheimnisse birgt.

Mehr oder weniger die Hauptfigur des Bandes ist Kaladin, ein Heiler und Soldat. Er wurde verraten und versklavt und findet sich als Brückenläufer in der Armee des adeligen Kriegsfürsten Sadeas der Alethki wieder.

Ein brutaler Job, bei dem Männer mobile Brücken über tödliche Schluchten in der Zerklüfteten Ebene tragen, damit die Infanterie sie überqueren kann, und dabei als Kanonenfutter für feindliche Bogenschützen dienen.

Kaladin entwickelt sich zum Anführer unter den Brückenläufern. Mit Hilfe des Sprengels Syl, einem geisterhaften Wesen aus Licht, beginnt er übernatürliche Fähigkeiten zu entwickeln, die an die sagenhaften Windläufer erinnern, uralte Krieger aus einer vergessenen Zeit.

Gleichzeitig kämpft der hochrangige Adelige Dalinar Kholin, Bruder des ermordeten Königs Gavilar, mit rätselhaften Visionen, die ihn während der gewaltigen Stürme heimsuchen. In ihnen sieht er Fragmente einer vergangenen Welt und hört immer wieder die Worte »Vereint sie.«

Diese Botschaften wecken in ihm Zweifel an der gegenwärtigen Kriegsführung und an der Ehre der Adligen. Er versucht, die Einheit Alethkars zu wahren und doch noch einen Weg zum Frieden zu finden.

Parallel dazu folgt der Roman der jungen Shallan Davar, die aus einem verarmten, von Skandalen überschatteten Haus stammt. Um ihre Familie zu retten, sucht sie die hochgebildete Jasnah Kholin, Dalinars Nichte, als Lehrmeisterin auf, verfolgt jedoch insgeheim das Ziel, ein wertvolles magisches Artefakt zu stehlen.

Der Nerd von nebenan, der die Fantasy revolutioniert

Brandon Sanderson hat für mich persönlich einen besonderen Stellenwert. Seit er 2008 mit seinen Kollegen Dan Wells und Howard Taylor den Podcast Writing Excuses ins Leben rief, folgte ich ihm auf allen möglichen Wegen, die das weltweite Netz so zu bieten hat. Dabei nahm ich ihn zunächst gar nicht als herausragenden Fantasy-Autor wahr.

Mich begeisterte eher, dass Sanderson sich als Nerd aus der Nachbarschaft präsentierte. Ein Dungeons & Dragonsund Magic: The Gathering-Spieler, ein Filmfreak, mit besonderer Schwäche für Science Fiction, Fantasy und Superhelden. Vor allem nahm ich ihn als jemand wahr, der über das Schreiben reden konnte wie du und ich (nur kenntnisreicher) und der nicht wie ein Prediger von der Kanzel esoterische Weisheiten verkündete.

Diese Nähe zu seiner Community macht Sanderson für mich bis heute aus. Zwar ist er nicht mehr aktiver Teil von Writing Excuses, hat aber inzwischen seinen eigenen Podcast Intentionally Blank und man muss sich schon Mühe geben, um auf YouTube an ihm vorbei zu kommen.

Sandersons Engagement ist atemberaubend. Natürlich macht er in diversen Videos auch Werbung für seine Bücher. Aber ebenso teilt er kostenlos seine inzwischen schon legendären Lectures, Vorlesungen zum Schreiben von Fantasy-Literatur, die meiner Meinung nach das Beste zu diesem Thema überhaupt darstellen.

Die meisten Bestseller-Autoren lassen sich solche Videos als »Masterclass«-Kurse oder ähnliches teuer bezahlen. Sanderson nicht. Allein für diese herausragende Demokratisierung von Wissen hat er bei mir schon einen Stein im Brett.

Aber auch sonst ist er nie um ein Interview verlegen, erscheint an diversen Stellen, auch auf den kleinsten Kanälen, antwortet, wenn er gefragt wird, und ist sich für keinen Spaß zu schade. Immer geduldig, humorvoll und sehr, sehr eloquent.

Aber zurück ins Jahr 2008 und meiner ersten »Begegnung« mit ihm. Schon damals war er ein erfolgreicher Autor, auch wenn ich ihn gar nicht als solchen wahrgenommen habe. Noch nicht annähernd so erfolgreich wie heute, aber er lebte schon recht gut vom Schreiben, so weit ich das beurteilen konnte.

Nicht nur seine Bodenständigkeit und das extrem fundierte Wissen über das Schreiben von Romanen, das er und seine Co-Hosts in Writing Excuses mit der Welt teilten, begeisterte mich. Vor allem fand ich es unglaublich interessant, auf diese Weise die Karriere eines Autors Woche für Woche begleiten zu können.

Es dauerte noch ein paar Jahre, bis ich einmal ein Buch von ihm las. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich »Kinder des Nebels« begann. Es muss um 2015 herum gewesen sein.

Seitdem bin ich wahrscheinlich nicht der allergrößte Sanderson-Fanboy. Aber er hat ganz bestimmt einen besonderen Platz in meinem Regal und rangiert unter den Top 10 meiner Lieblingsautoren. Ach, was sage ich, unter den Top 5.

Vom Jordan-Schüler zum Fantasy-Meister

Brandon Sandersons Karriere fußt darauf, dass er 2007 die wahrlich epische Fantasy-Serie Das Rad der Zeit nach dem frühzeitigen Tod ihres Autors Robert Jordan übernahm. Jeder Band dieser Serie hat einen Umfang von mindestens 1000 Seiten und besticht durch komplexe Storys, die sich in einem großen Ensemble aus Figuren entfalten.

Dabei ist Das Rad der Zeit für das Genre auch verhältnismäßig nüchtern. Zwar bringt Jordan seinem Publikum ausgefallene Kulturen und viel Magie näher. Auf Elfen, Zwerge, Hobbits und andere für das Genre übliche Figuren verzichtet der Autor jedoch und auch andere Fabelwesen setzt er eher spärlich ein.

Das war, als der erste Band von Rad der Zeit erschien, durchaus ungewöhnlich, da Ende der 1980er Jahre noch Terry Brooks die Fantasy-Regale der Buchhandlungen dominierte, der sehr stark in den Motiven Tolkiens verharrte und damit das Genre prägte.

Als Brandon Sanderson noch ein junger Schriftsteller war, kam Jordans Witwe mit dem Anliegen auf ihn zu, die Serie ihres Mannes zu beenden. Sanderson, gleichermaßen Jordan-Fanboy, talentierter Schreiber wie auch Geschäftsmann, ergriff diese Gelegenheit beim Schopf. Wie zu erwarten, machte die Serie ihn berühmt.

Das ist aus mehreren Gründen wichtig. Denn erstens prägte ihn Jordans Werk inhaltlich. Und zweitens etablierte er sich als Autor in der Wahrnehmung des Literaturbetriebs, der große und komplexe Geschichten zugänglich erzählen kann.

Und nicht zuletzt zeigte Sanderson der Verlagswelt, dass er zügig und zuverlässig auch komplizierte Projekte über die Ziellinie trägt. Man muss schon eine Weile suchen, bis man Menschen findet, die 1000 Seiten-Wälzer in 24 Monaten abliefern, die inhaltlich hohe Standards erfüllen.

Das verschaffte ihm Freiheiten, die dazu führten, dass er für eine so groß angelegte Serie wie Die Sturmlicht Chroniken nur ein paar Jahre später überhaupt einen Verlag finden konnte. In gewisser Weise sind Die Sturmlicht-Chroniken Sandersons Rad der Zeit. Und kaum ein anderer Autor hätte für so ein Projekt in der aktuellen Beschaffenheit des Buchmarkts einen Verlag gefunden.

Zusätzlich profilierte Sanderson sich schon vor seiner Tätigkeit als Jordans Nachlassverwalter als eigenständiger Autor. Neben seinem Erstling »Elantris« von 2005 und seinem Folgeroman »Warbreaker« von 2009 (dt. »Sturmklänge«), beides originelle Stand-Alone-Fantasy-Ziegelsteine, gilt hier vor allem seine bereits erwähnte Serie Kinder des Nebels als richtungsweisend.

In diesen Büchern entwickelte er seinen Markenkern, den er in den Sturmlicht-Chroniken auf die Spitze treibt: Hard Magic.

Sanderson schafft es, Magie in seinen Romanen sowohl atmosphärisch als auch zentral für die Story einzusetzen. Er etabliert Regeln für Magie, die dann auch konsequent über alle Bücher eingehalten werden.

Während also Magie von der Mehrzahl und vor allem den Klassikern des Genres wie Tolkien eher als eine Art Joker eingesetzt wird, um den Plot voranzutreiben, wenn sonst keine bessere Lösung für ein Problem auf der Hand liegt, ist bei Sanderson Magie meist das zentrale Problem und die Lösung des Plots und prägend für das ganze Setting.

So ist die Magie in »Der Weg der Könige« kein Deus ex Machina. Sie prägt die Kultur und verleiht dem Setting eine einzigartige Identität. Das Magiesystem ist komplex und durchdringt die Mythologie und den Alltag der Bewohner.

Hard Magic in den Sturmlicht-Chroniken

Zu den wichtigsten Elementen der Magie Roschars zählen die bereits erwähnte Sturmlichtmagie und die Splitterklingen, die gleichermaßen geheimnisvoll und mächtig sind.

Die Sturmlichtmagie bezieht ihre Macht aus den gewaltigen Stürmen, die regelmäßig über Roschar hinwegfegen. Sie erzeugen das Sturmlicht, das in speziellen Edelsteinen gespeichert werden kann.

Sturmlicht ist nicht nur ein Werkzeug, sondern auch ein Symbol für die Verbindung zwischen Natur, Mensch und der mystischen Vergangenheit der Welt. Die mit Sturmlicht erzeugten Splitterklingen, die nur von wenigen Auserwählten geführt werden können, verleihen ihren Trägern übermenschliche Fähigkeiten.

Gleichzeitig sind sie aber auch Statussymbole, die den sozialen und politischen Rang ihrer Besitzer untermauern. Der Ursprung dieser Scherben ist tief in den Legenden verwurzelt, was ihnen eine heilige Aura verleiht.

Doch Magie ist mehr als nur ein physikalisches Phänomen – sie ist ein Schlüssel zur Vergangenheit Roschars und ein Spiegel seiner Konflikte.

Sie verbindet die Charaktere mit den Mysterien der Welt und wirft gleichzeitig ethische und philosophische Fragen auf. Was bedeutet es, solche Macht zu besitzen? Wie sollte sie eingesetzt werden, und zu welchem Preis?

Was bisher erschien …

Auf Deutsch sind bislang elf Bände erschienen (einer ist für die nahe Zukunft angekündigt), im Original fünf Bücher. Dazu kommen noch die zwei Novellen »Edgedancer« und »Dawnshard«, die sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch jeweils in einem Band veröffentlicht wurden. 

Daraus ergibt sich für die deutsche Ausgabe folgende Liste:

  1. Der Weg der Könige (The Way of Kings)
  2. Der Pfad der Winde (The Way of Kings)
  3. Die Worte des Lichts (Words of Radiance)
  4. Die Stürme des Zorns (Words of Radiance)
  5. Der Rufe der Klingen (Oathbringer)
  6. Die Splitter der Macht (Oathbringer)
  7. Die Tänzerin am Abgrund (Edgedancer)
  8. Der Rhythmus des Krieges (Rhythm of War)
  9. Der Turm der Lichter (Rhythm of War)
  10. Der Splitter der Dämmerung (Dawnshard)
  11. Winde und Wahrheit (Wind and Truth)
  12. Der Kampf der Meister (Wind and Truth)

Die Entscheidung des Verlags, einen englischen Roman auf mindestens zwei deutsche Bände zu verteilen ist zwiespältig.

Deutsche Verlage haben das mit den Klassikern der englischsprachigen Fantasy schon häufiger gemacht. Nicht zuletzt mit George R.R. Martins Das Lied von Eis und Feuer oder auch mit dem Rad der Zeit.

Zwiespältig ist diese Entscheidung, weil sie einerseits verständlich ist. Romane werden bei der Übersetzung vom Englischen ins Deutsche dicker. Deutsche Wörter sind im Schnitt einfach länger und Sätze komplizierter als englische. Das wird irgendwann unhandlich.

Andererseits reißt man die Geschichte auseinander. Sanderson wird sich bei der Gestaltung seiner Bücher was gedacht haben.

Aber irgendwie ist das auch schon beinahe eine Art Genremerkmal von Fantasy. Schließlich wurde selbst Der Herr der Ringe, von Tolkien eigentlich als ein Buch gedacht, zunächst als Trilogie veröffentlicht.

Das Beste aller Fantasy-Welten

Brandon Sandersons »Der Weg der Könige« bildet für mich eine faszinierende Schnittstelle zwischen den Klassikern des Genres und moderner Fantasy. Gerade dieser Spagat macht die SturmlichtChroniken reizvoll und erklärt vielleicht auch ein wenig den großen Erfolg.

Am deutlichsten ist zunächst die Nähe zum Herrn der Ringe (unter anderem, weil Sanderson auf dem Klappentext der deutschen Ausgabe als »J.R.R. Tolkien des 21. Jahrhunderts« beschrieben wird). Wie Mittelerde ist Roschar eine Welt, die von uralten Mächten, Legenden und Mythen durchzogen ist.

Roschar wirkt nicht wie ein Schauplatz, den man nur für eine Geschichte entworfen hat, sondern wie eine lebendige Welt, die jenseits der Romane existiert und nicht nur als ein Vehikel zum Erzählen spannender Storys dient.

Vor allem aber teilt Sanderson mit Tolkien die Überzeugung, dass hinter allem Kampf um Macht auch eine moralische Dimension liegt: die Frage nach Ehre, Pflicht und dem Preis, den Helden für ihre Entscheidungen zahlen müssen.

Daneben ist die Verwandtschaft zu Robert Jordan natürlich unübersehbar. Das Rad der Zeit ist vermutlich das Werk, das Sanderson am stärksten geprägt hat. Wie Jordan spinnt er mehrere Handlungsstränge parallel, erzählt von einem ganzen Kontinent, von Kriegen und Intrigen, von Adligen, Soldaten und Gelehrten.

Der Unterschied liegt vor allem in der Anlage: Während Jordan sich oft im Detailreichtum verliert, bleibt Sandersons Erzählrhythmus klarer und strukturierter. Er plant seine Welt wie ein Architekt und führt den Leser Schritt für Schritt tiefer hinein, während bei Jordan einiges doch gelegentlich eher improvisiert wirkt.

Somit sind die SturmlichtChroniken trotz ihrer Fülle wesentlich zugänglicher als Jordans Mammutwerk. Nicht unwesentlich trägt zu diese Zugänglichkeit auch bei, dass Sanderson einfach extrem gute Prosa und Dialoge schreiben kann. Er beherrscht die hohe Kunst, verständlich, aber nicht flach zu schreiben.

Eine Nähe zu George R. R. Martin zeigt sich eher auf der Ebene der Figuren. Kaladin, Dalinar und Shallan sind keine makellosen Helden, sondern zutiefst zerrissene Menschen. Sie kämpfen nicht nur gegen äußere Feinde, sondern gegen Depression, Wahnsinn, Schuld oder Selbstzweifel.

Hier liegt die Gemeinsamkeit zwischen Sanderson und Martins Ansatz, die Fantasy zu »vergrauen« – Helden sind fehlbar, Adelige intrigant, Könige schwach. Der entscheidende Unterschied liegt im Tonfall: Martins Welt ist illusionslos und zynisch.

Sanderson dagegen erlaubt seinen Figuren den Glauben an Ideale. Selbst wenn sie zweifeln bleibt doch die Möglichkeit, dass Ehre, Zusammenhalt und Opfermut mehr sind als naive Träume.

Schließlich lohnt ein Blick zu Ursula K. Le Guin und ihrer Erdsee-Saga. Vor allem, weil Sanderson selbst beteuert, ein großes Fan zu sein und die Autorin als ein Vorbild empfindet.

Ihre Geschichten sind moralisch und fast schon parabelhaft. Bei ihr geht es weniger um epische Breite als um innere Wahrheiten. Und auch wenn Sanderson im Gegensatz zu ihr auf epische Dimensionen setzt, teilt er mit Le Guin die zentrale Frage, was es bedeutet, Macht zu haben – und sie verantwortlich einzusetzen.

Kaladin als Heiler und Kämpfer, Shallan als Suchende und Betrügerin, Dalinar als Heerführer und Visionär – sie alle tragen Macht und ringen mit der Bürde, sie richtig zu gebrauchen.

Fazit

Es entsteht ein differenziertes BildDie Sturmlicht-Chroniken stellen kein reines „Old School“-Epos dar, aber auch keine radikal neue Schule. Sie sind ein Werk der Balance: groß wie Jordan, mythisch wie Tolkien, psychologisch wie Martin, moralisch wie LeGuin – und doch sprachlich und inhaltlich klar ohne schlicht zu sein.

Für mich liegt genau darin ihre Faszination: »Der Weg der Könige« schlägt eine Brücke zwischen Tradition und Moderne.

Einerseits ist moderne Fantasy der neuen Schule eine, die düster ist, komplexe und schwermütige Figuren hat und ein reales, um nicht zu sagen desillusioniertes Verhältnis zu erwachsenen Themen wie Gewalt oder Macht. Grimdark ist hier das meiner Ansicht nach prägende Subgenre.

Und natürlich prägt Romantasy die moderne Fantasy. Also die Mischung aus Fantasy und Romance. In gewisser Weise ist das die »neueste«, die aktuelle und beherrschendste Schule der Fantasy, zumindest wenn man sich die Auslagen der Buchläden ansieht.

Nun, »Der Weg der Könige« ist in jedem Fall komplex, allerdings eher auf der Handlungs- und weniger auf der Figurenebene. Ohne dass die Figuren bei Sanderson flach wären, ist andererseits der Roman auch kein psychologische Drama. Zumindest liegt hier nicht der Schwerpunkt.

Gerade im Vergleich zu George R.R. Martin fällt auf, dass Sanderson leichter und, wie gesagt, vor allem viel weniger düster und idealistischer bleibt.

Beziehungen und Gefühle spielen natürlich auch bei einer so epischen Geschichte wie den Sturmlicht-Chroniken früher oder später eine Rolle. Nur stehen sie nicht im Vordergrund und sind nicht das handlungstreibende Element der Serie wie in der Romantasy.

Für mich schafft es Sanderson also, trotz der Wahrung vieler Traditionen nicht nostalgisch zu werden, ohne aber den aktuellen Trends des Genres hinterher zu laufen. Man merkt ihm an, dass er vor allem von Robert Jordan massiv geprägt wurde. Und dieser ist ja durchaus auch eine Art Bindeglied zwischen Old School- und New School-Fantasy.

Doch Vorsicht. Das Buch ist keine reine Unterhaltung. Man muss schon ein wenig Anstrengung investieren, um sich durch das komplexe Setting, die Zeitsprünge und die Figurenvielfalt hindurchzuarbeiten.

Aber hier kommt ins Spiel, dass Sanderson sich dank seiner bisherigen Leistungen einen gewaltigen Vertrauensvorschuss erarbeitet hat. Sollten keine schweren Schicksalsschläge dazwischen kommen, kann man sich sicher sein, dass Sanderson seine Serie beenden wird.

Mit anderen Worten: Die Arbeit, die einem »Der Weg der Könige« abverlangt wird mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch belohnt werden.

»Der Weg der Könige« ist meiner Meinung nach eine Art Schmelztiegel. 100 Jahre Traditionen der Fantasy-Literatur werden hier ebenso spürbar wie Einflüsse großer Meilensteine des Genres aus anderen Medien wie Dungeons & Dragons oder Magic: The Gathering. Auch PC- und Konsolen-Spiele wie Final Fantasy haben nicht zuletzt auf den Roman eingewirkt.

Brandon Sanderson ist für mich der Meister des Balancings auf allen Ebenen. Traditionsbewusst, aber nicht nostalgisch. Modern, aber nicht trendy. Zugänglich, aber nicht flach.

Insofern ist »Der Weg der Könige« eigentlich ein Buch für alle. Für alle, die Fantasy schätzen, die gerne in ein Traumreich versetzt werden, das ernstgenommen und bis ins letzte Detail stimmig ist und (fast) alles feiert, was Fantasy großartig macht.

Somit bereitet Brandon Sanderson mit dem Auftakt dieser Serie ein umfassendes Lesevergnügen, das Puristen der einen oder anderen Spielart der Fantasy vielleicht nicht ganz befriedigen wird, aber doch ein Angebot an so ziemlich alle Fantasy-Enthusiasten unterbreitet.

P.S.: Deutsche Leser dürfen sich nicht irritieren lassen

Wie bereits erwähnt, ist die Veröffentlichungsweise der deutschen Ausgaben etwas verwirrend im Vergleich zum englischen Original. Dort sind bislang fünf Bücher erschienen. Auf Deutsch zwölf. Das liegt nicht nur daran, dass man die Bücher halbiert hat.

Der deutsche Band 7, »Die Tänzerin am Abgrund« ist m Original kein »Hauptroman« der Serie, sondern »nur« eine »Novelle«. Die Anführungszeichen häufen sich gerade, weil »Edgedancer«, so der Originaltitel, immerhin 200 Seiten dick ist. Für andere Autoren wäre das durchaus schon ein richtiger Roman.

Das Gleiche gilt für den deutschen Band 10 »Der Splitter der Dämmerung« (»Dawnshard«).

Ein anderes, bisher nicht angesprochenes, aber in meinen Augen wichtiges Detail, sind die Cover der Bücher. Im Original und im Deutschen besitzen die Bücher eine grundlegend andere Gestaltung.

Die Umschläge der US-Ausgaben der Bücher werden von Michael Whelan gemalt. Wer sich im Genre auskennt, sollte nun von einer Welle ehrfürchtigen Erschauderns erfasst worden sein. Denn Whelan illustriert seit mehr als einem halben Jahrhundert die Größen des Genres, von Asimov über Williams bis eben zu Brandon Sanderson.

Vor allem war er aber der Illustrator des letzten Rad-der-Zeit-Romans, den ja Sanderson geschrieben hatte. Es war ausdrücklich Sandersons Herzenswunsch, dass Whelan auch die Stormlight-Archives illustrieren sollte. Und der ging in Erfüllung.

Zumindest für alle, die die Bücher im Original lesen.

Warum Heyne sich gegen Whelan entschied, ist unklar. Vielleicht war die Lizenz zu kostspielig. Es gibt natürlich das rein praktische Problem, dass ein Buch im Original ja zwei Bücher im Deutschen sind und deswegen für ein deutsche Ausgabe immer eine Cover-Illustration fehlt.

Mir blutet aber schon ein wenig das Herz. Ich finde Whelans Illustrationen den deutschen Covergestaltungen überlegen. Sie beziehen sich direkt auf den Inhalt der Bücher, während die deutschen Bilder eher generisch sind.

Vielleicht war Whelans Stil dem Verlag aber auch zu genretypisch. Sie könnten für ein deutsches Publikum den Eindruck von Groschenromanen erwecken. Etwas, das ich gerade gut finde.

Ich vermute allerdings (ist aber wirklich nur geraten), dass der Verlag mit dem Namen Sanderson auf den Massenmarkt schielt und deswegen Illustrationen wählt, die von Fantasy über Romance bis zu historischen Romanen eigentlich alles bebildern könnten. Der Verdacht erhärtet sich ein wenig, weil »Der Weg der Könige« auf dem Frontcover mit »Roman« und nicht als »Fantasy-Roman« gebrandet wird.

Whelans Cover könnten auch die Illustration eines D&D-Regelwerks oder ähnliches sein. Er reiht sich stilistisch und von seinen Motiven her für mein Auge in Künstler wie Jeff Easley oder Larry Elmore ein. Als Old School-Enthusiast ist das für mich natürlich eine Augenweide.

Und auch inhaltlich passt das gut, denn Sanderson steht ja in gewisser Weise auf den Schultern von Riesen. Einen Klassiker der Fantasy-Kunst mit klassischer Gestaltung auf Büchern abzubilden, die sozusagen die größter Party für die Fantasy-Kultur der letzten 100 Jahre ist, erscheint mir logisch.

Andererseits wird der Verlag den deutschen Markt besser kennen als ich und alles, was den Erfolg von Sanderson in Deutschland beflügelt und seine Bücher einem möglichst großen Publikum zugänglich macht, finde ich begrüßenswert.

P.P.S.: Wie geht es weiter?

Wer in die Sturmlicht-Chroniken einsteigen möchte und abgeschlossene Serien liebt, steht vor einer schweren Entscheidung.

Mit »Der Kampf der Meister« ist der erste große Bogen der Geschichte auserzählt. Sanderson hat von Anfang an erklärt, dass die ersten fünf Bände (im Original) den ersten großen Abschnitt der gesamten Geschichte darstellen.

In gewisser Weise sind die SturmlichtChroniken also vorläufig abgeschlossen.

Die schlechte Nachricht für Komplettisten: Danach beginnt der zweite Handlungsbogen mit ebenfalls fünf Büchern. Aber bis wann diese fertiggestellt sein sollten, ist natürlich ungewiss, da dieser Punkt, weit, weit in der Zukunft liegt.

Den Äußerungen von Sanderson zufolge und wenn man sein Arbeitspensum zugrunde legt, kann man abschätzen, dass die Serie irgendwann in den 2040ern abgeschlossen sein könnte. Vorausgesetzt, er kündigt dann nicht einen dritten Handlungsbogen an oder was auch immer. Sanderson ist stets für (erfreuliche) Überraschungen gut.

Ich darf gar nicht dran denken, dass ich die Serie wohl erst im Rentenalter zu Ende lesen werde … 🙈

P.P.P.S.: Sanderson auf der großen Leinwand …

Es drängt sich ein bisschen die Frage auf, warum der derzeit erfolgreichste Vertreter der Fantasy noch nicht im Kino zu bestaunen ist. Immerhin ist Sanderson seit 20 Jahren aktiv und seine Verkaufszahlen gehen durch die Decke.

Und tatsächlich ist Hollywood durchaus an seinen Werken interessiert, allerdings zögert der Meister damit, einem Studio den Zuschlag zu erteilen.

Lizenzen für seine Bücher, die nicht zu seinem Cosmere-Universum gehören, sind bereits vergeben. Die Novelle Snapshot ist als Serie in Entwicklung und Skyward, Sanderson Ausflug in die SF, wird ebenfalls schon als TV-Serie umgesetzt.

Ob es darüber hinaus je ein Cosmere-Projekt auf die große Leinwand schaffen wird, ist ungewiss, da Sanderson selbst skeptisch ist. Vielleicht will er nur den Preis hochtreiben, vielleicht ist ihm künstlerische Integrität wichtig. Vielleicht beides. Wer weiß.

Nach den Äußerungen, die ich von ihm zur Rad-der-Zeit-Adaption von Amazon gehört habe, vermute ich, dass er eine gewisse Abneigung gegen die Filmbranche entwickelt hat. Dazu muss man wissen, dass er als Berater in die Produktion eingebunden war.

Freundlich und höflich, wie Sanderson ist, hat er aber durchaus vorsichtig angedeutet, dass seine Beratungen auf das Endprodukt keinen großen Einfluss hatten. Und ebenso freundlich, höflich und wertschätzend hat Sanderson auch zu Protokoll gegeben, dass die TV-Serie im Vergleich zu den Romanen sehr »eigenständig« sei.

Hier scheint das gebrannte Kind das Feuer zu scheuen.

Aber das sind nur meine Vermutungen und keine offiziellen Informationen.