Der Schatten des Dämonenfürsten – Zu modern für ein Old School Fantasy Rollenspiel?

Foto: Marcus Johanus 2024
Der Schatten des Dämonenfürsten, das Regelwerk von Robert J. Schwalb, auf Deutsch erschienen bei System Matters

Der Dämonenfürst wirft seinen gewaltigen Schatten auf Urd. In ihm wachsen Dinge, die alles und jeden in den Wahnsinn stürzen und zu vernichten drohen. Kulte arbeiten im Verborgenen daran, die Apokalypse zu entfesseln. Einige Abenteurer stellen sich ihnen entgegen, obwohl sie ahnen, dass sie längst auf verlorenem Posten kämpfen. 

Seit seiner Veröffentlichung 2015 hat Der Schatten des Dämonenfürsten, kurz SdD, die Rollenspielszene bereichert. Die Mischung aus Horror und Fantasy, schlanken Mechaniken und ein große Übersichtlichkeit, die ein Spielen ohne viel Vorbereitung ermöglichen, machen den Reiz des Spiels aus.

Auf Deutsch erschien SdD 2018 bei System Matters auf Deutsch. Das zur Zeit nur als PDF erhältliche Grundregelwerk kostet 29,95 Euro und umfasst 350 vollfarbige Seiten.

Leider ist die gedruckte Hardcover-Ausgabe zur Zeit vergriffen, soll aber in unbestimmter Zukunft wieder aufgelegt werden. Das lohnt sich auch wirklich, denn man bekommt halt nicht nur ein schickes Hardcover, das edel mit Lesebändchen ausgestattet ist (ich liebe Lesebändchen), sondern auch noch zwei große farbige Landkarten dazu.

Aber ist SdD aufgrund seiner einfachen Regeln noch old school oder wegen seiner detaillierten Hintergrundwelt doch eher ein modernes Indy-Rollenspiel?

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Eine Welt am Rand der Apokalypse

Ganz gleich, ob old school oder nicht, die Hauptargumente, sich für SdD zu entscheiden, sind eine atmosphärische Spielwelt und zahlreiche gelungene Abenteuer, die auf ihr stattfinden.

Der Kontinent Rul, der Hauptschauplatz der meisten Abenteuer, ist ein mit Bedacht entwickelter Hintergrund.

Dem Autor des Spiels, Robert J. Schwalb, ist es gelungen, ein Setting zu kreieren, das einerseits alles aufeinander vereint, was Veteranen des Hobbys kennen und lieben. Andererseits hat er genug Feenstaub verstreut, dass sich alles neu und spannend anfühlt.

Es wimmelt nur so vor Grausamkeiten, Chaos und Perversionen. Was die Atmosphäre angeht, erinnert die Spielwelt durchaus an die Alte Welt von Warhammer. Allerdings noch brutaler, grausamer und chaotischer, dafür eigenständiger.

Während Warhammers Hintergrund eine Parodie der europäischen Renaissance darstellt, ist Rul durchaus eine schillernde Fantasywelt. Schillernd wie eine frisches Hämatom.

Vor allem einige Abenteuer verdienten durchaus das Prädikat ab 18.

Entscheidender ist jedoch, dass hier so ziemlich alle Spielerinnen und Spieler Charaktere kreieren können, die sie in einem Fantasy-Rollenspiel gerne spielen möchten.

Du willst einen Uhrwerk spielen, eine in eine Kampfmaschine gebundene Seele eines verstorbenen Kriegers? Oder einen Wechselbalg, einen Hybriden aus Feen und Menschen, der seine Gestalt verändern kann? Einen Ork, Goblin oder den Standard-Zwerg?

Natürlich kann man auch einfache einen Menschen spielen und ihn über die nahezu unzähligen Karrierepfade individualisieren, so dass am Ende kein Charakter dem anderen gleicht.

Egal, ob eher abgefahren oder klischeehaft. Man dürfte so ziemlich alles finden, aber ohne dass dies aufgesetzt oder unstimmig wirkt. Die Hintergrundgeschichte Ruls ist so genial, dass alles passt.

Hinzu kommen wirklich clevere und stimmungsvolle Tabellen, auf denen man zufällig Hintergrundgeschichte, Besitztümer und Eigenheiten eines Charakters auswürfeln kann. Diese inspirieren und machen letztendlich jeden Charakter zu einem Individuum. Außerdem machen sie schlichtweg Spaß.

Regeltechnische eine echte Alternative zu Dungeons & Dragons

SdD erinnert nicht zufällig an D&D. Robert J. Schwalb stammt aus dem Designteam, das die 5. Edition erarbeitet hat. Offenbar konnte er seine Vision für die Überarbeitung des ältesten Fantasy-Rollenspiels aber nicht konsequent umsetzen, weswegen er, kurz nachdem D&D 5 erschien, mit seinem eigenen Spiel auftrumpfte.

Was bedeutet das konkret?

  • Die Regelmechaniken von SdD erinnern an D&D, verschlanken sie jedoch und schaffen das Kunststück bei größerer Übersichtlichkeit sogar mehr Optionen zu bieten und insgesamt stromlinienförmiger zu sein.
  • Die Grundmechaniken bleiben im Vergleich zum großen Bruder gleich. Es wird mit einem W20 gewürfelt, es gibt Stufen, so was Ähnliches wie Klassen und Rassen, Hintergründe usw.
  • Alle, die schon einmal einen W20 in der Hand gehalten haben, kommen mit SdD sofort zurecht.

Während bei D&D jede Charakterklasse mehr oder weniger ein eigenes Subystem hat, wirkt bei SdD alles eher aus einem Guss. Kein Wunder, denn während D&D über Jahrzehnte gewachsen ist, böse Zunge würden sagen gewuchert, ist SdD aus einem Gehirn entsprungen.

  • Das relativ starre Klassensystem von D&D ist durch ein sehr flexibles Karrieresystem ersetzt worden, das an Warhammer FRSP erinnert. Die möglichen Optionen zur Charakterentwicklung werden dadurch nahezu unendlich, ohne aber kompliziert zu werden. Denn vieles kann per Zufall entschieden werden und die einzelnen Optionen sind von Stufe zu Stufe eher schlicht, addieren sich dann aber im Laufe der Zeit zu einem feinen Geäst aus individuellen Eigenschaften.
  • Zahlreiche Tabellen mit Hintergrundoptionen sorgen dafür, dass Charaktere auch jenseits ihrer Spielwerte einzigartig sind und dass die Charakterschaffung und -entwicklung übersichtlich kurzweilig bleibt.
  • Beim Kampf- und Magiesystem gilt das gleiche Prinzip. Alles erinnert an D&D, nur einfacher und gleichzeitig besser.

So gibt es zum Beispiel beim Kampf keine Initiative. Es gibt nur langsame und schnelle Aktionen, wobei sehr intuitiv verständlich ist, was langsam und was schnell ist. Zuerst sind alle Gruppenmitglieder mit schnellen Handlungen (also einfache Aktionen, wie Zuschlagen, Waffe ziehen usw.) dran, dann alle Gegner. Danach, alle, die langsame (sprich komplexe Aktionen) durchführen wollen, dann wiederum die Gegner.

Veteranen des Hobbys finden sich bei SdD sofort zurecht und haben trotzdem viel zu entdecken. Immer wieder ertappte ich mich beim Spielen dabei, wie ich dachte: »Ahhhh, so einfach geht das auch. Viel cooler und trotzdem einfacher.«

Präsentation ist alles

Was mich darüber hinaus an SdD begeistert, ist die Tatsache, dass alles in einem Buch steckt, was man zum Spielen benötigt.

Wehmütig erinnere ich mich daran zurück, welche Offenbarung es vor einigen Jahrzehnten war, als Spiele wie Call of Cthulhu oder das Warhammer FRSP in einem dicken Band daherkamen, in dem von der Charaktererschaffung über das Bestiarium bis hin zum Einstiegsabenteuer alles vorhanden war, was man zum Spielen benötigte.

Das geschah zu einer Zeit, als der Platzhirsch Advanced Dungeons & Dragons seine Monsterbücher als Ringbuchordner verkaufte, zu denen man ständig neue Blätter erwerben musste. Praktisch monatlich erschienen damals neue Quellenbücher.

Dass in dieses Chaos hinein Spiele grätschen, in denen alles, was man wissen musste, in einem Band steckte, war eine Offenbarung. Mich zumindest hat das so nachhaltig geprägt, dass ich mir heute Spiele wünsche, die kompakt daherkommen.

Ja, ich verstehe, warum auch aktuelle Rollenspiele mindestens in ein Spieler-, Speilleiter- und Monsterhandbuch aufgeteilt auf den Markt gebracht werden. In gewisser Weise ist das auch vorteilhaft, denn als Fan des Hobbys möchte ich ja, dass die Herausgeber Geld verdienen.

Gut finde ich das aus einer Konsumentenperspektive und vor allem am Spieltisch trotzdem nicht. Denn abgesehen davon, dass SdD insgesamt günstiger ist als D&D, ist das alles auch handlicher und beim Spiel viel, viel schneller nachzuschlagen.

Hinzu kommt, dass es bei SdD keine dicken Kampagnenbücher und Quellenbände zu wälzen gilt, bevor man loslegen kann. Halbwegs erfahrene Spielleitungen werden allein mit dem Grundregelwerk ganze Kampagnen lostreten können.

Hier zeigt sich die Stärke und der maßgebliche Designansatz des Spiels in voller Pracht. Denn SdD ist nicht nur vom Hintergrund her für erwachsene Spieler gedacht. Alles zielt darauf ab, dass berufstätige Eltern, denen für ihr Hobby nur wenig Zeit bleibt, mit minimaler Vorbereitungszeit schnell unterhaltsame Spielrunden mit Tiefgang und Detailreichtum erleben können.

Die meisten vorgefertigten Kampagnen und Abenteuer sind richtig gut. Vor allem aber sind sie schnell zu lesen und damit zügig vorzubereiten. Mit einer halben Stunde Einarbeitung lassen sich mit SdD fünf Stunden Abenteuer erleben.

Bei vielen anderen Spielen ist das Verhältnis eher umgekehrt.

Ist SdD noch Old School?

Aber ist SdD nun Old School Fantasy oder nicht? Ja, echte OSR-Fans werden ein wenig die Nase rümpfen. Denn SdD ist keine Simulation einer alten D&D-Edition.

Stattdessen bietet das Spiel schlicht eine vereinfachte, für ein erwachsenes Publikum angepasste Alternative zum Platzhirsch mit übersichtlicheren Regeln und einem raffinierten Konzept. Dabei wirkt das System stellenweise oldschoolig, ist es aber natürlich in strengerem Sinne nicht, da ja eher das Spielgefühl der aktuellen D&D-Edition simuliert wird und nicht das einer älteren Variante.

  • OSR-Spiele zeichnen sich häufig durch die Abwesenheit einer detaillierten Spielwelt aus. Nun, man mag darüber streiten, wie detailliert Rul ausgearbeitet ist. Im Vergleich zu Dungeons Crawl Classics oder Beyond the Wall geradezu minutiös, aber im Vergleich zu Aventurien oder den Forgotten Realms ist der Detailreichtum quasi ein Witz. Aber für OSR-Puristen wahrscheinlich schon zu viel.
  • Auch gibt es so was wie Balancing im System, narrative Fokussierung und die Regeln fühlen sich auch insgesamt eher modern und wenig altertümlich an.
  • Aber in Sachen Tödlichkeit nimmt es SdD mit jedem Retroklon auf.
  • Auch spielt man bei SdD eher Abenteurer und keine Helden.
  • Das Spiel ist außerdem eher reglleicht, trotz vieler vorgefertigter Abenteuer durchaus sandboxtauglich und besitzt eine nun wahrhaftig grimmige Atmosphäre.
  • Auch, dass eigentlich die ganze Charaktererschaffung zufällig mit Würfen auf Tabellen abgewickelt werden kann (aber natürlich nicht muss), verleiht SdD einen old schooligen Charme

Die Abenteuer sind bei SdD aber eigentlich der Aspekt, der am meisten dafür spricht, das Spiel vielleicht nicht als Teil der OSR-Bewegung zu sehen, aber doch als old school inspiriert anzuerkennen. Denn sie sind sehr rudimentär, bestehen selten aus mehr als einem Bodenplan mit ein paar Beschreibungen, zwingen Spielleiter zum Improvisieren und lassen der Spielgruppe viele Freiräume.

Wahrscheinlich lässt sich SdD am besten als ein Hybrid einordnen. Es verbindet geschickt Old School-Elemente wie hohe Tödlichkeit, regelleichtes Spiel und geringer Vorbereitungszeit mit modernen Design-Prinzipien und innovativen Mechaniken.

Während es sicherlich von der OSR-Bewegung inspiriert wurde, geht es in vielerlei Hinsicht eigene Wege.

Mich jedenfalls holt es als Fan von Old School Fantasy auf jeden Fall ab.

Die Tatsache, dass ich ein liebevoll gestaltetes Regelbuch habe, in dem nun wirklich alles steht, was ich für das Spielen benötige, in Kombination mit den cleveren Regelmechanismen zur Charakterentwicklung und der gleichermaßen innovativen wie bekannten Spielwelt erzeugen in mir ein wohliges, nostalgisches Gefühl.

P.S.: Weitere Ereignisse werfen ihre Schatten voraus …

Wem SdD zu düster und brutal ist, der kann ein Auge auf The Shadow of the Weird Wizard werfen. Das ist sozusagen die kindertaugliche Version des Spiels. Noch gibt es diese allerdings nicht auf Deutsch. Es würde mich aber sehr wundern, wenn diese nicht noch bei System Matters erscheine würde.