Sturmbringer und Seelenfresser: Für wen lohnt sich der neue Elric-Sammelband des Fantasy-Klassikers von Fischer TOR?

Elric. Die illustrierte Gesamtausgabe von Michael Moorcock, erschienen 2024 bei Fischer TOR
Foto: Marcus Johanus, 2024

Die neue deutsche illustrierte Ausgabe der Elric-Romane bei Fischer-TOR ist eine 1166 Seiten dicke Schatztruhe. Michael Moorcock, der Schöpfer dieser epischen Saga, schickt sein Publikum zwischen diesen schwarzen Buchdeckeln auf eine düstere und faszinierende Reise.

Elric gegen den Rest: Wie Michael Moorcock Fantasy neu definierte

1986, als ich vierzehn Jahre alt war, hatte ich gerade den Herrn der Ringe beendet und lechzte nach mehr. Ich stöberte, wie so oft, in der Buchabteilung eines Berliner Kaufhauses am Kurfürstendamm auf der Suche nach neuem Lesestoff. Aber so richtig begeistern konnte mich dort nichts.

Entweder wirkten die Bücher wie Märchen oder sie waren mehr oder weniger dreiste Kopien von Tolkien. Beides reizte mich wenig. Weder wollte ich als Teenager Kindergeschichten noch den Herrn der Ringe erneut lesen.

Ich wollte ja etwas Neues. Fantasy, aber doch anders.

Da stieß ich auf Michal Moorcocks Elric von Melniboné. Die Saga vom Ende der Zeit. Sechs Romane in einem Band prangte als Sticker auf dem Taschenbuch von gut 1000 Seiten.

Auf dem Cover ritt ein elfisch anmutender Krieger in einer schwarzen Rüstung mit rotleuchtenden Augen und weißer Haut auf einem Drachen. Der Drache und der Hintergrund waren in Brauntönen gehalten.

In seiner Hand hielt er ein schwarzes Breitschwert, das mit Runen verziert war.

Ein Buchumschlag, der herausstach. Ein Umfang, der damals seinesgleichen suchte. Viel cooler als die seltsame Ausgabe vom Herrn der Ringe, die drei giftgrünen Bücher im Schuber mit den seltsamen Figuren vorne drauf. Ja, damals las man trotz diese Ausgabe und nicht ihretwegen Tolkien. Man hatte ja sonst nix.

Und meine Generation war mit gelben Reclamheftchen aufgewachsen. Da hinterfragte man Covergestaltung einfach nicht. Um so eindrucksvoller war es, hier echte Fantasykunst auf einem Cover zu sehen. Kein Kitsch, aber eben auch keine verkünstelten Strichmännchen auf giftgrünem Grund, die so gar nichts mehr mit Fantasy zu tun hatten.

Elric war also vollkommen anders. Das Titelbild von Rodney Matthews bildete mit seinem etwas holzschnittartigen Stil eine inspirierende Abwechslung zu den damals üblichen Tolkien-Klonen mit ihren pseudorealistischen Airbrush-Motiven. Und obwohl es heißt, man solle nie ein Buch nach seinem Cover beurteilen, war hier der Inhalt ebenso außergewöhnlich wie das Titelbild.

All das machte mein jugendliches Ich neugierig. Und als es mit dem Lesen begann, wurde es nicht enttäuscht, sondern von etwas (damals) wirklich Anderem in den Bann geschlagen …

Die dunkle Magie der Elric-Saga: Eine einzigartige Reise durch eine fantastische Welt … und die Geschichte der Fantasy

Michael Moorcock wurde 1939 in London geboren. Elric von Melniboné, seine bekannteste Schöpfung, ist ein Antiheld. Die Geschichten um ihn, die moralische Ambiguität und psychologische Tiefe besitzen, haben Moorcock einen festen Platz in der Hall of Fame der Fantasy eingebracht.

Wer rechnen kann, erkennt, dass Michael Moorcock inzwischen deutlich über achtzig Jahre alt ist. Diesen Umstand muss man sich kurz ehrfürchtig bewusst machen, denn damit ist der Brite der letzte Überlebende der großen Alten der Fantasy.

Fritz Leiber, L. Sprague DeCamp, Marion Zimmer Bradley … Alles Menschen, die dieses Genre entscheidend geprägt und zur heutigen Popularität beigetragen haben. Moorcock ist der einzige aus dieser Generation, der einige dieser Namen selbst als Vorbild hatte, teils ein Zeitgenosse und Weggefährte von ihnen war, und trotzdem noch am Leben ist.

Allein dieser Umstand erzeugt bei mir schon ein wohliges Schauern, wenn ich die neue Elric-Ausgabe in den Händen halte. Sie sind bereits ein Stück Literaturgeschichte. Eine, die ich zum großen Teil miterleben und verfolgen durfte, was sie für mich natürlich zu etwas ganz Besonderem machen.

Darüber hinaus bilden Moorcocks Elric-Geschichten faszinierende Reisen durch eine düstere und magische Welt, die von Intrigen, Machtspielen und Abgründen geprägt ist. Im Geiste der Subkultur der 1960er hat der damals knapp zweiundzwanzigjährige Autor ein für die noch junge Fantasy ungewöhnlichen Helden erschaffen. Denn Elric ist ein Albino-Kriegerkaiser, der aufgrund seiner physischen Schwäche auf die magische Hilfe seines Schwertes Sturmbringer angewiesen ist.

Bereits die Titel der Geschichten in diesem »Prachtband« (wie der Verlag selbst diese Ausgabe in aller Bescheidenheit nennt) verheißen Magie und Abenteuer:

  • Elric von Melniboné (1972)
  • Die Festung der Perle (1989)
  • Auf der See des Schicksals (1976)
  • Der Zauber des Weißen Wolfs (1977)
  • Die schlafende Magierin (1971)
  • Die Rache der Rose (1991)
  • Der Fluch des schwarzen Schwertes (1977)
  • Sturmbringer (1965)

Die Elric-Romane gelten als Meilensteine der Fantasy-Literatur. Während viele seiner Vorbilder wie Leiber oder auch Robert E. Howard die Konventionen der Fantasy etabliert haben, hat Moorcock sie gebrochen und Grenzen gesprengt.

Vor allem tat er das in einer Sparte, in der man es am wenigsten erwartete.

Denn im Prinzip sind die Elric-Romane Groschenhefte. Größtenteils Fließbandliteratur, die in kurzer Zeit entstanden ist.

Michael Moorcock ist ein Profi, der nicht auf Inspiration und den großen Wurf wartet, sondern häufig seine Manuskripte in nur wenigen Tagen schreibt. Das merkt man den Romanen auch an. Bei aller Liebe, die ich dieser Reihe entgegenbringe. Man muss schon eine Schwäche für Pulp haben, um Elric genießen zu können.

So manche Seite füllt Moorcock mit Gemetzel, in dem Knochen brechen und Blut und Gedärme spritzen. Auch das muss man mögen, wenn man Elric genießen möchte.

Aber eben weil diese Romane eigentlich erst einmal Unterhaltungsliteratur für Low-Fantasy– beziehungsweise Sword-and-Sorcery-Fans sind, ist es um so erstaunlicher, was Moorcock mit seinem Helden Elric quasi nebenbei noch so alles angestellt hat. Und damit ist Elric dann halt eben doch nicht nur Pulp-Literatur, sondern eher Pop-Art.

Für ein Publikum, das einen weiteren Klon von Conan wie Karl Edward Wagners Kane erwartete, schrieb er einen Helden, der kein allmächtiger Macho ist, sondern ein echter Schwächling. So schwach, dass er ohne Drogen und Zaubermittel bzw. sein vampirischen Schwert Sturmbringer gar nicht überleben kann.

Statt sein Königreich oder Prinzessinnen zu retten, zerstört und tötet Elric alles, was er liebt, ohne es zu wollen. Statt der strahlende Held zu sein, dem jede Quest gelingt, verstrickt er sich in Intrigen und scheitert.

Statt vom Nobody zum Herrscher der Welt aufzusteigen, begibt der Albino sich in eine Abwärtsspirale vom Kaiser eines Reiches aus mächtigen Kriegermagiern zum vagabundierenden Söldner, auf der Suche nach einem Weg, seinem erdrückenden Schicksal zu entkommen.

Die Ironie der gesamten Elric-Saga liegt darin, dass Elric seinen Thron verlässt, um ein besserer Herrscher zu werden. Er will lernen und sich moralisch weiterentwickeln. Letztendlich wird er aber nur in den kosmischen Konflikt zwischen Chaos und Ordnung verwickelt.

Wer also auf der Suche nach Happy Ends ist, der wird mit Elric weniger glücklich. Aber wer ein originelles Stück-Fantasy-Zeitgeschichte lesen möchte, das neben den üblichen Abenteuern auch die eine oder andere Überraschung und vor allem viel exotische Atmosphäre bereithält, wird auf seine Kosten kommen.

Von Marvel bis Martin – Moorcock prägte die Phantastik

Michael Moorcocks Rebellentum macht die Elric-Geschichten zu einer Fundgrube für Ideen. Mir zumindest macht es einfach Spaß, diesem kreativen Feuerwerk zuzusehen. Darüber hinaus erkennt man, wie sich die Pop-Kultur seit Jahrzehnten an Moorcocks Werk abarbeitet.

Moorcock ist also weder literarisch, noch ist er ein reiner Unterhaltungsautor. Und damit ist er ein Glücksfall für das Genre. In seinem Werk verbinden sich Genrekonventionen mit Experimentierfreudigkeit.

Somit sitzen die Elric-Geschichten zwischen allen Stühlen und sind nur schwer einzuordnen. Moorcock pfeift einfach auf alles. Deswegen geht von ihm eine große Innovationskraft aus. Das Produkt ist dann nicht immer ohne Anstrengungen genussfertig, aber auf jeden Fall durchgehend interessant.

Lange vor den Marvel-Filmen etablierte Michael Moorcock in seinen Romanen beispielsweise das Konzept des Multiversums. Zu den originellen Ideen in seinem Werk gehört, dass alle Helden seiner Fantasy-Storys (neben Elric schrieb er noch die Reihen um Corum, Hawkmoon, Erekose, Jerry Cornelius …) die Versionen einer Figur in Parallelwelten sind, die gelegentlich auch miteinander kollidieren.

Filme wie Into the Spider-Verse oder Spider-Man: No Way Home sind für Moorcock-Leserinnen und -Leser kalter Kaffee. Die Blaupausen zu diesen Storys hat der Brite schon fünfzig Jahre vor dem Kinostart geschrieben.

Spiele wie Dungeons & Dragons haben Anfang er 1980er Jahre Moorcocks Konzepte übernommen und in ihre Spielwelten integriert. Ohne sie gäbe es zahlreiche PC- und Konsolen-Rollenspiele in der Form, wie wir sie heute kennen, nicht.

Es wäre übertrieben zu behaupten, dass Moorcock für all diesen Entwicklungen alleine verantwortlich ist. Aber sein Wirken ist durchaus spürbar.

Am offensichtlichsten ist sein Einfluss natürlich in der Fantasy-Literatur. Zahlreiche Autoren und Autorinnen, die heute bekannter sind als Moorcock, stehen im Schatten des Originals. Nicht wenige huldigen in diesem Band in Vorworten zu den Romanen ihrem Idol.

So ist beispielsweise Andrzej Sapkowskis The Witcher eigentlich eine Hommage an Michael Moorcocks Hauptwerk, was viel zu selten betont wird. Gerade, wenn man sich die Netflix-Serie anschaut, wird Moorcocks Vorbild für Kenner überdeutlich. Positiv formuliert.

Kein anderer als George R.R. Martin, der Schöpfer von Game of Thrones, hat Moorcock als einen der Autoren genannt, die seine Werke beeinflusst haben. Und das ist für alle, die ihren Elric gelesen haben, offensichtlich.

Aber auch Neil Gaiman, der durch seine Werke wie American Gods und Sandman bekannt ist, hat Moorcock in seinem Vorwort für den Prachtband als eine seiner Inspirationsquellen gehuldigt. Und tatsächlich, wenn man genau hinsieht, lassen sich zwischen Gaimans Lord Morpheus und Elric so manche Parallelen erkennen. Woraus Gaiman aber im Gegensatz zu anderen keinen Hehl macht.

Und in anderen Vorworten zu den Einzelromanen in dieser Gesamtausgabe bekennen sich noch weitere aktuelle Größen der Fantasy-Literatur dazu, eingefleischte Moorock-Fans zu sein, unter ihnen nicht zuletzt Comic-Kult-Autor Alan Moore oder Bestseller-Autor Tad Williams, aber auch deutsche Fantasy-Urgesteine wie Kai Mayer und Markus Heitz.

Michael Moorcock hat mit seinen Elric-Geschichten den Weg für düstere, komplexe Fantasy geebnet, die sich mit moralischen Ambivalenzen auseinandersetzt. Ein Weg, den nach ihm Dutzende beschritten und breitgetreten haben.

Die Krönung einer Saga: Elrics deutsche »Prachtausgabe«

Abgesehen von seiner historischen und kulturellen Bedeutung ist der neue deutsche Sammelband auch eine echte Augenweide und ein Schmuckstück für jedes gepflegte Fantasy-Buchregal. Die liebevolle Gestaltung der Ausgabe bei Fischer-TOR unterstreicht die literarische Dimension von Moorcocks Hauptwerk.

Das Cover ziert zwar zu meinem Leidwesen kein Rodney Matthews, dafür aber das ikonische Elric-Bild von Chris Achilleos, das Ende der 1980er die deutsche Ausgabe der Rollenspiel-Box Sturmbringer bebilderte. Das erfreut mein Moorcock-Fanboy- und Rollenspielerherz.

In der Innenseite der Buchdeckel prangt eine vollfarbige Karte der Jungen Königreiche, der Welt von Elric. Die Illustrationen im Band sind Klassiker aus anderen Publikationen, die hier zum ersten Mal vereint sind.

Mich persönlich schmerzt es ein wenig, dass die Illustrationen aus dem alten Sammelband Elric von Melniboné. Die Saga vom Ende der Zeit nicht ihren Weg in die »Prachtausgabe« gefunden haben. Ja, die sind wirklich nicht mehr zeitgemäß und versprühen den Charme der späten 1970er und frühen 1980er Jahre. Doch das tun die Elric-Geschichten ja auch.

Aber was erwartet geneigte Fantasy-Fans, die nicht wie ich mit Elric aufgewachsen sind und weniger Interesse daran haben, historische Wurzeln aktueller Trends kennenzulernen?

Prinzipiell ein wenig angestaubte, aber durchaus spannende Fantasy-Abenteuer mit etwas Tiefgang. Ich betone: etwas. Zu viel würde ich nicht erwarten. In den 1970ern mag Moorcock in der Top Liga für erwachsene und experimentierfreudige Fantasy gespielt haben. Inzwischen ist er von vielen seiner Schülerinnen und Schüler übertroffen worden, nicht zuletzt von Brandon Sanderson.

Man muss sich bewusst sein, dass die Romane einige Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Was vor rund einem halben Jahrhundert revolutionär erschien und mich als Teeny in den 1980ern begeistern konnte, ist heute inhaltlich und sprachlich nicht unbedingt die Champions League der Fantasy.

So wird beispielsweise in Der Fluch des Schwarzen Schwertes sehr, sehr knapp beschrieben, wie sich Zarozinia und Elric ineinander verlieben. Zwischen Kennenlernen und dem ersten Kuss liegen rund zwei Sätze und trotzdem wird sofort betont, dass Zarozinia Elrics zweitgrößte Liebe sei. Und fortan sind die beiden ein Paar.

Auch unterscheidet sich Zarozinia nicht großartig von Elric erster Frau Cymoril.

Für ein Publikum in den 1970ern, das das Abhandeln von Romanzen in Abenteuergeschichten gewohnt war, mag so was durchgehen. Ich jedenfalls bin beim erneuten Lesen über diese Passage gestolpert.

Insgesamt ist Elric für die Zeit, in der die Kernsaga entstanden ist, durchaus typisch, was die Ausgestaltung von Frauenrollen in den Geschichten angeht. Feministische Fantasy sollte man also nicht erwarten.

Moorcock versucht in den beiden späteren Romanen, Die Festung er Perle und Die Rache der Rose, durchaus weiblichen Figuren mehr Raum zu geben. Ob ihm das so gut gelingt, muss man für sich selbst entscheiden.

Auch kann man kein homogenes Leseerlebnis erwarten. Es sind in diesem Buch halt nun einmal acht Einzelromane zusammengefasst, die in einem Zeitraum von rund drei Jahrzehnten entstanden sind.

Selbst der Begriff Roman ist für die meisten Geschichten unzutreffend, denn Moorcock schrieb hauptsächlich Novellen für Magazin-Veröffentlichungen, von denen er später jeweils drei in rund 200-seitigen Taschenbüchern zusammenfasste und für diese Zwecke manchmal etwas umschrieb, damit sie wie eine mehr oder weniger zusammenhängende Geschichte wirkten. Und diese sind nicht in chronologischer Reihenfolge entstanden, wie man an der Liste oben erkennen kann.

Insofern war es eine sehr gute Entscheidung des Verlags, die Erzählungen von dem Fantasy-Experten Hans Riffel neu übersetzen zu lassen. In meinen Augen ist die Neuübersetzung der alten überlegen. Riffel bleibt dicht am Original und weniger frei als seine Vorgänger, wodurch die Sogwirkung von Moorockcs Stil auch im Deutschen voll zur Geltung kommt.

Vor allem wird mit der neuen Übersetzung für Menschen, die diese Gesamtausgabe von Buchdeckel zu Buchdeckel lesen, der Bruch zwischen den einzelnen Geschichten etwas gemildert.

Sprachlich erinnert mich Moorcock immer ein wenig an H.P. Lovecraft (auch manche Monster oder das Verhältnis der Menschen zur Magie und Religion seiner Geschichten haben durchaus etwas Cthulhuides). Soll heißen, stellenweise ist Moorcock für ein modernes Publikum etwas sperrig zu lesen und er befindet sich in einer seltsamen Schwebe zwischen zeitgemäßer Ausdrucksweise und der Verwendung von Anachronismen. Dies erzeugt eine einzigartige Atmosphäre.

Fazit:

Ich fürchte, ohne ein historisches Interesse, lässt sich diese Gesamtausgabe nicht ungetrübt genießen. Es gibt für das heutige Publikum kleinere inhaltliche und sprachliche Hürden zu überwinden, die Moorcocks Romane zu keiner reinen Unterhaltungslektüre machen. Hat man aber diese Dinge im Hinterkopf und Interesse daran, die Klassiker des Genres kennenzulernen, wird man ganz sicher auch heute noch viel Spaß mit Elric und dieser neuen Ausgabe haben.

Für das reine Lesevergnügen wäre es in meinen Augen besser gewesen, den alten Sammelband mit den sechs Kern-Erzählungen wieder aufzulegen. Denn die Geschichten, die von 1965 bis 1977 als Bücher veröffentlicht worden sind, sind vom Inhalt, Stil und der Atmosphäre her einheitlicher als die acht Titel, die hier zusammengefasst werden.

Liest man die Kern-Saga stellt sich das Gefühl ein, originelle, aber immer noch »echte« Fantasy zu lesen.

Die neueren Romane Die Festung der Perle und Die Rache der Rose stechen von der Form, vom Inhalt und auch von der Sprache her sehr drastisch aus dem Rest der Saga hervor. Der Moorcock aus den 1970ern ist beinahe ein komplett anderer Autor als der Moorcock aus den 1990ern. Kreativ ist das aus Autorenperspektiv total verständlich. Für das Lesevergnügen allerdings weniger förderlich.

Immerhin kann man Moorcock nicht vorwerfen, dass er mit den neueren Elric-Romanen von sich selbst abschrieb.

Aber dadurch bietet dieser Sammelband letztendlich weder ein homogenes Leseerlebnis, noch eine Gesamtausgabe . Denn neben der mangelnden stilistischen Einheitlichkeit fehlen auch viele Elric-Geschichten.

Es ist allerdings auch gar nicht möglich, in Buchform alle Elric-Erzählungen zu veröffentlichen (dazu weiter unten mehr).

Für Menschen, die wie ich Moorcock schon in den 1980ern im Taschenbuch gelesen und in den 1990ern jedes neue Lebenszeichen von Elric gefeiert haben, ist diese Sammlung ein bisschen so, als wenn man nach langer Reise zu seinen Eltern nach Hause kommt und am Küchentisch zusammensitzt, um über alte Zeiten zu plaudern.

Für Neueinsteiger in Moorcocks Werk dürfte diese Ausgabe gleich in mehreren Beziehungen sperrig sein.

Für wen lohnt sich also nun die Investition von fast 70 Euro in diesen Ziegelstein von Buch?

Nun, für alle, die entweder in frischer Übersetzung und edler Form die Geschichten ihrer Jugend wieder lesen wollen. Und für alle, die Lust auf experimentierfreudige Fantasy haben und nicht nur am reinen Lesevergnügen orientiert sind. Also auf jeden Fall für alle, die aus historischem Interesse Fantasy-Zeitgeschichte nachvollziehen wollen.

Unterm Strich ist Elric nichts für Gelegenheitsleser, sollte aber im Regal von Fantasy-Fans keinesfalls fehlen.

P.S. (musst du nicht lesen, wenn du kein Interesse an nerdigen Details hast):

Michael Moorcock ist trotz seines fortgeschrittenen Rentenalters immer noch ein aktiver Autor. In unregelmäßigen Abständen erscheinen deswegen immer mal wieder Elric-Bücher.

Und so ist es wenig erstaunlich, dass er kurz vor dem Erscheinen der deutschen »Gesamtausgabe« einen neuen Elric-»Roman« veröffentlichte: The Citadel of Forgotten Myths. Der Titel hat es nicht mehr in diese Sammlung geschafft. An Fischer TOR lag das nach eigenem Bekunden wohl nicht. Woran denn dann, konnte ich bislang nicht herausfinden.

Wer sich für das neuste Elric-Buch interessiert, sollte The Citadel of Forgotten Myths als Vorletztes lesen, also vor Sturmbringer. Er spielt eindeutig nach Der Fluch des schwarzen Schwertes.

Wie für Moorcock üblich, ist auch dieses Buch aus drei zuvor einzeln erschienenen Geschichten zusammengeschrieben.

Die deutsche »Gesamtausgabe« ist also bereits beim Erscheinen keine komplette Sammlung aller Elric-Geschichten. Allerdings kann sie das ohnehin nicht sein, unter anderem weil Elrics Abenteuer nicht nur in Romanform stattfinden.

Mit Elric am Ende der Zeit aus den 1980ern gibt es beispielsweise einen Bildband von Rodney Matthews, dessen Einzelbilder von Moorcock mit einer Story verbunden wurden. Für Matthews-Fans wie mich eine coole Sache, auf die Geschichte kann man aber getrost verzichten, wenn man kein fanatischer Elric-Fanboy ist. Die ist nicht dolle.

Beim Sammelband Tales of the White Wolf (deutsch Die Rückkehr des Weißen Wolfes), der Mitte der 1990er-Jahre (passender Weise beim Rollenspiel-Verlag White Wolf erschienen, der sich auch tatsächlich nach Elrics Spitznamen benannt hat), handelt es sich um eine Kurzgeschichtensammlung, zu der diverse Autorinnen und Autoren Elric-Stories beisteuerten.

Dass diese Geschichten nicht in einen Sammelband von Michael Moorcocks Elric aufgenommen wurden, ist einerseits bedauerlich, andererseits aber verständlich. Sie tragen nur sehr wenig zur Gesamtgeschichte bei und sind eher Fanworship.

Bei dem Roman Tochter der Traumdiebe (The Dreamthief’s Daughter von 2001) ist es schon fragwürdiger, wieso dieser nicht enthalten ist. Immerhin ist das Buch (ich bin versucht zu sagen ausnahmsweise) ein richtiger Roman und keine Zusammenfassung kürzerer Erzählungen. Allerdings könnte man darüber streiten, ob es sich hierbei tatsächlich um einen Elric-Roman handelt.

In ihm steht eigentlich eine Inkarnation von Elric, Ulric von Beck, im Vordergrund. Und ein Großteil der Handlung spielt, zumindest zum Teil, auf unserer Welt in den 1940er Jahren (oder einer Parallelwelt, die unserer ähnelt, so was weiß man bei Moorcock nie so genau). Kurzgesagt kämpfen hier Ulric und Elric gegen Nazis.

Erwähnte ich bereits, dass, wer Elric lesen will, auch Pulp mögen muss?

Tochter der Traumdiebe kann man antiquarisch noch ganz gut ergattern oder im Original kaufen, falls man wirklich nach den 1166 Seiten noch Lust auf mehr Elric hat. Aber wie vielleicht deutlich geworden ist, ist Elric in diesem Roman eher eine Nebenfigur.

Außerdem steckt die Geschichte so tief in Moorcocks Welten, dass man mindestens alle anderen Elric-Geschichten gelesen haben muss, um der Handlung halbwegs folgen zu können. Kenntnisse seiner anderen Reihen wie Corum oder Hawkmoon schaden auch nicht …

Die Erschaffung eines Hexers von 2007 ist exklusiv in Comic-Form erschienen und kann allein deswegen nicht in einer Roman-Sammlung aufgenommen werden.

Ganz uninteressant ist Die Erschaffung eines Hexers aber nicht, da hier die Vorgeschichte zum Roman Elric von Melniboné und damit zur gesamten Saga erzählt wird. Muss man nicht lesen, doch wenn man von Elric wirklich angefixt ist, will man das gerne.

Und das sind nur wenige Beispiele dafür, dass man hier in eine lange Diskussion einsteigen könnte, welche Geschichten noch in der deutschen »Gesamtausgabe« fehlen. Insofern wäre es vielleicht passender, dieses Buch als einer Art Hauptwerk und Einstieg in Moorcocks Multiversum zu betrachten.

P.P.S. (jetzt wird es noch nerdiger, aber da du es bis hierhin geschafft hast, warum aufhören):

Falls du nun angespitzt bist und gerne Elric lesen willst, aber wie ich zum Komplettwahn neigst und dich nicht mit den Storys in der »Prachtausgabe« zufrieden gibst … Nun ja. Viel Erfolg.

Wer Tolkiens akribisches World Building gewohnt ist, muss bei Moorcock Abstriche machen. Während die Geschichten um Mittelerde eine Art Symphonie bilden, bei der jeder Ton exakt sitzen muss, ist die Saga um die Jungen Königreiche eher Free Jazz. Oder eher noch Punk oder wenigstens Grunge.

Moorcock schreibt seine Elric-Storys auch bewusst als Gegenentwurf zu Tolkiens Herr der Ringe, den er als »Winnie the Poo für Erwachsene« empfindet. Und das meint er nicht als Kompliment.

Meine Empfehlung: Lies Elric von Melniboné zuerst und Sturmbringer zuletzt. Was man wann so dazwischen liest, ist nicht so wichtig.

Tatsächlich finden hier und da in den Geschichten zwar Ereignisse statt, die mehr Sinn ergeben, wenn man sie vor anderen Ereignissen liest. Aber wer in den 1970ern jede neue Elric-Story bei Erscheinen las, musste ja auch damit leben, dass die Ereignisse nicht in chronologisch korrekter Weise erzählt wurden.

Das hat damals eigentlich auch niemanden gestört.

Wer Elric liest, setzt mit jeder Geschichte eine Art Mosaik zusammen. Eine exakte Chronologie einer fantastischen Welt erwartet einen hier weniger. Auch so was muss man mögen, wenn man in Michael Moorcocks Gedankenwelt eintritt.

Insofern wäre meine Empfehlung für Einsteiger, die nicht gleich 1200 Seiten wälzen wollen, auch nur den ersten und letzten Roman zu lesen und zu gucken, ob sie einem gefallen. Sie sind in meinen Augen ohnehin die besten der Serie.

Danach ist es empfehlenswert, die Kern-Saga zu lesen, soll heißen Auf der See des Schicksals, Der Zauber des Weißen Wolfs, Die schlafende Magierin und Der Fluch des schwarzen Schwertes.

Wenn du dann noch Lust auf weitere Elric-Erzälungen hast, kannst du alle anderen Bücher, Comics, Bildbände und was auch immer lesen (vorausgesetzt, du ergatterst sie noch antiquarisch oder liest sie im Original). Aber als Faustregel kannst du dir merken, dass alle Geschichten, die nach 1977 erschienen sind wenig Substanzielles mehr zur Saga beisteuern.

P.P.P.S. (allerletzte Bemerkung für Nerds wie mich, nur der Vollständigkeit halber …)

Es halten sich seit nun beinahe fünfzehn Jahren hartnäckig die Gerüchte, dass Michael Moorcocks Elric verfilmt werden soll. Ich würde mir ja einen Animationsfilm für Erwachsene des Romans Elric von Melniboné wünschen, der stilistisch so zwischen der Elric-Comic-Version von Julien Blonde und den Elric-Illus von Rodney Matthews liegt, aber ich fürchte, das wird nie Realität.

Statt dessen ist es zur Zeit wohl am wahrscheinlichsten, dass ähnlich wie Isaac Assimovs Foundation Elric als TV-Serie von David Goyer adaptiert wird.

Seit Erscheinen von A Game of Thrones auf den TV-Bildschirmen suchen ja alle nach ähnlichem Material. Elric bietet sich da natürlich an und David Goyer erscheint mir auch eine gute Wahl zu sein. Mit der Verfilmung von The Sandman hat er gezeigt, dass er für solche Stoffe ein gutes Händchen hat und eine perfekte Balance zwischen Werktreue und der Adaption an ein anderes Medium bewahren kann.

Allerdings macht mich nervös, dass es nur wenige Quellen gibt, die von diesen Plänen berichten und dass diese auch schon wieder rund zwei Jahre alt sind. Hype sieht anders aus. Bestenfalls wird es wohl noch einige Jahre dauern, bis Elric seine Abenteuer auch in bewegten Bildern erlebt.

Mich würde es sehr freuen, wenn auf diese Weise Michael Moorcock einem größeren Publikum nähergebracht werden könnte. Er steht zu Unrecht im Schatten von Tolkien oder auch einigen seiner Nachfolger wie George R.R. Martin und vor allem Andrzej Sapkowski, der schon ziemlich eklektisch ist.

Elric ist eigenständiger und erwachsener als viele andere bekanntere Fantasy-Epen. Auch künstlerischer und auf eine beinahe schon skurrile Weise anspruchsvoller. Und gerade weil die Elric-Geschichten teils absurd, ungeordnet und irgendwie wild sind, sind sie mir besonders sympathisch.