
Nun habe auch ich endlich die Gelegenheit gefunden, mich mit dem neuen Dungeons & Dragons Player’s Handbook von Wizards of the Coast intensiver zu beschäftigen – der wohl heißesten Pen-&-Paper-Veröffentlichung 2024.
Ja, es ist schon ein paar Monate alt, und Rezensionen des Buches sind keine Breaking News mehr. Ich hinke der Zeit etwas hinterher, aber hey, ich bin ja auch old school.
Und als Old School-Fantasy-Liebhaber ist für mich vor allem wichtig, wie nostalgisch D&D 2024 daherkommt.
Zunächst einmal verbindet man ja mit D&D spätestens seit der 3rd Edition eher das Gegenteil von Old School (die aktuelle Auflage ist übrigens offiziell die fünfte, aber eigentlich irgendwie die siebte, vielleicht auch die neunte … Es ist kompliziert, lieber nicht darüber nachdenken).
Doch immerhin feierten wir 2024 50 Jahre D&D und damit auch 50 Jahre Pen & Paper, und als Flaggschiff des Hobbys hat das Spiel die Aufgabe, möglichst viele zu begeistern und damit unterschiedliche Spielstile unter einen Hut zu bringen. Also auch meinen. Mal sehen, ob es das schafft.
Aber Dungeons & Dragons ist doch das älteste Rollenspiel überhaupt – muss es dann nicht Old School sein?
Als Aushängeschild des Hobbys muss D&D ein breites Angebot an möglichst viele machen. Vor allem aber muss es Nachwuchs heranziehen, denn ein Spiel ohne junges Blut trocknet aus.
So ist D&D seit inzwischen über 50 Jahren eigentlich immer darum bemüht, neue Elemente zu assimilieren, ohne gleichzeitig seinen Kern aufzugeben. Diesen Balanceakt versucht das Spielt seit AD&D 1st Edition.
Aber bevor wir uns in wirren Bezeichnungen und Auflagennummern verlieren, beginnen wir am Anfang des Hobbys, denn so erschließen sich meiner Ansicht nach die Designentscheidungen, die zu D&D 2024 geführt haben, am besten. Natürlich abgesehen von den Aspekten, dass mit der Neuauflage der Geburtstag gefeiert und neue Kaufanreize gesetzt werden sollten.
Bevor D&D zum weltweit bekanntesten Rollenspiel wurde, nahm es in den frühen 1970er Jahren mit den Pen & Paper-Pionieren Gary Gygax und Dave Arneson seinen Anfang. Die beiden gelten gemeinhin als Begründer des Hobbys. Inspiriert von Tabletop-Strategiespielen wie Chainmail und Fantasy-Literatur, vor allem von den Erzählungen von Fritz Leiber, entwickelten sie eine neue Art des Spielens – eine Mischung aus der Simulation phantastischer, mittelalterlicher Scharmützel und erzählerischer Improvisation.
1974 veröffentlichten die beiden die erste Edition von Dungeons & Dragons in drei schlichten Heften. Diese Original D&D-Box (OD&D in Fachkreisen) legte den Grundstein für das, was später zu einer ganzen Rollenspielindustrie werden sollte. Das Spiel verbreitete sich schnell unter Fantasy-Fans, die ihre eigenen Abenteuer erschufen und immer neue Regeln hinzufügten.
Mit der Veröffentlichung von Advanced Dungeons & Dragons (AD&D) 1977 wurde das Regelwerk komplexer, und das Spiel gewann immer mehr an Popularität. In den 1980er Jahren etablierte es sich endgültig, unterstützt durch zahlreiche Module, Kampagnenwelten, Computerspiele, Comics, Romane, einer Zeichentrickserie und später auch noch Kinofilmen.
Von inzwischen nahezu unzähligen YouTube-Channels, Websites, Blogs usw., die sich auf die unterschiedlichsten Weisen an D&D abarbeiten und zu seiner Popularität massiv beitragen, ganz zu schweigen.
Heute, 50 Jahre später, ist D&D weit mehr als nur ein Spiel. Es ist ein popkulturelles Phänomen, an dem man schwer vorbeikommt, wenn man sich mit Fantasy allgemein und Pen & Paper im Speziellen beschäftigt.
Retro-Vibes auf dem Cover
Was mir bei der neuesten Inkarnation des Grundregelwerks als Erstes auffällt, ist natürlich das neue Design. Ein nicht zu vernachlässigender Faktor, wenn es um die Frage geht, wie viel Old School noch im ältesten Rollenspiel steckt. Denn Atmosphäre ist für OSR ja durchaus nicht nebensächlich.
Schon auf dem Cover wird die neue Philosophie von D&D deutlich: Fortschritt durch Rückgriff.
Wieso Rückgriff?
Zunächst einmal, weil – wie jeder Connaisseur erkennt – auf dem Umschlag die Cartoonfiguren aus der D&D-Zeichentrickserie Im Land der fantastischen Drachen der 1980er Jahre abgebildet sind. Und auch im Inneren begegnen wir ihnen gelegentlich.
Optisch stellt das Cover also eine Einladung an alte Spielerinnen und Spieler dar, die in den 1980ern die Serie gesehen haben und nun, rund vier Dekaden später, im Alter von 50+ wieder an den Spieltisch gebracht werden sollen.
Für alle anderen sind die Figuren für ein modernes Publikum aufgehübscht, sodass sie auch für den aktuellen Geschmack akzeptabel sind.
Evolution statt Revolution
Und damit ist eigentlich die gesamte Philosophie des Player’s Handbook 2024 auf den Punkt gebracht. Alles wirkt wie ein Best of und der Kompromiss zwischen 1980er AD&D und D&D 4, mit eigentlich gleichgebliebenen Regeln der fünften Edition von 2014, garniert mit einer oldschooligen Prise roter Box.
Die konkreten Regeländerungen von 2024 im Vergleich zur Version von 2014 sind zahlreich, aber subtil. Sieht man einmal davon ab, dass Feats (also Talente) in der neuen Version eine etwas größere Rolle spielen und dass Inspiration jetzt Heroic Inspiration heißt und etwas tiefer im System verankert ist, ist eigentlich alles beim Alten geblieben.
Ja, ja, es gibt noch viele, viele Regeländerungen in den Details, die vor allem einzelne Charaktere und deren Fähigkeiten oder Zauber betreffen. Das bewegt sich auf dem Niveau, dass eine Eigenschaft früher oder später erlangt wird als bisher oder Ähnliches.
Die Änderungen waren ja noch nie von Auflage zu Auflage besonders groß. Schon immer herrschte die Philosophie der Evolution statt Revolution. Diesmal habe ich aber den Eindruck, dass die Designer besonders vorsichtig vorgegangen sind.
Nachvollziehbar, denn D&D 5 war und ist ein Hit (jedenfalls für Pen & Paper-Verhältnisse). Viele neue Leute konnten für das Spiel gewonnen werden – und die will man nicht vergraulen.
Deswegen muss aber alles irgendwie innovativ wirken und trotzdem abwärtskompatibel bleiben.
Und das tut es. Wer keinen Doktor in Dungeons-&-Dragonsologie hat und genau weiß, wann was früher einen Bonus von 1 gegeben hat, das nun einen Bonus von 2 bewirkt, kann praktisch alles Material von 2014 auch mit der Version von 2024 verwenden ohne groß darüber nachzudenken.
Aber die vielen kleinen Regeländerungen von D&D 2014 zu D&D 2024 sind nicht Thema dieses Beitrags, denn sie interessieren mich so gut wie gar nicht. Wer sich trotzdem gerne darüber informieren möchte, findet auf dem für deutsche D&D-Spieler eigentlich unverzichtbaren und für alle Rollenspieler und Rollenspielerinnen extrem empfehlenswerten YouTube-Channel Mit Vorteil ein Video, in dem wirklich alles zusammengefasst und eingeordnet wird.
50 Jahre D&D-Geschichte trifft auf moderne Ästhetik
Da man nun also den Inhalt nicht großartig ändern konnte oder wollte, wurde so ziemlich alles andere neu gestaltet. Soll heißen: Das Buch wurde komplett neu geschrieben, layoutet und bebildert.
Die Illustrationen versprühen nicht mehr den old-schooligen Charme der 2014er Ausgabe. Somit ist D&D in meinen Augen ehrlicher geworden. Denn nun sprenkelt und funkelt jedes Bild voller Magie, und man hat stellenweise den Eindruck, einen Superhelden-Comicband von Alex Ross in den Händen zu halten, der kürzlich einen Kurs im Zeichnen von Mangas belegt hat.
An Mittelalter erinnert hier nur noch wenig.
Dafür wird man der Ästhetik einer von PC- und Konsolenspielen sowie Animes sozialisierten Generation gerechter. Meins ist es nicht, aber ich kann verstehen, wieso man sich dazu entschieden hat. Und schlimm finde ich diese neue Atmosphäre nun auch wieder nicht.
Nur erhöht sie eher meine Distanz zu D&D und verringert sie nicht. Ein Grund mehr, warum ich dann lieber zu Schatten des Dämonenfürsten, Beyond the Wall, Dungeon Crawl Classics oder Swords & Wizardry greife, deren Atmosphäre und Spielgefühl mich eher ansprichen.
Positiv finde ich am neuen Design, dass D&D damit ehrlicher wird. Denn eine Mittelaltersimulation mit Magie- und Märchenelementen ist das Spiel nun wirklich schon seit mindestens dreißig Jahren nicht mehr – was aber die Ausgabe von 2014 optisch durchaus suggeriert. Da hatte man sich eher an den Einflüssen der Herr der Ringe– und Hobbit-Verfilmungen von Peter Jackson orientiert, die damals ja noch aktuell waren.
D&D ist aber nun einmal ein Superhelden- Rollenspiel vor einer Kulisse, die zwar grundlegend irgendwie mittelalterlich ist, bei der aber moderne Technologie in Form von Magie die Welt regiert. Und so sieht das Spiel jetzt auch aus.
Zurück zur roten Box?
Ist dann aber, mal abgesehen von 1980er-Cartoonfiguren, noch etwas old schoolig an D&D 2024?
Zunächst einmal finde ich die Präsentation der Regeln viel besser als je zuvor und, ja, in gewisser Weise auch old schooliger. Zumindest sprechen sie mich als OSR-Fan eher an als in der 2014er Fassung und auch in jeder anderen Ausgabe. Ich würde sogar so weit gehen, dass ich das erste Mal das Gefühl habe, ein D&D-Regelbuch in den Händen zu halten, das sich darum bemüht, verständlich zu sein.
Wozu auch? D&D und Rollenspiel sind praktisch synonym. Viele wissen nicht einmal, dass es noch tausend andere Rollenspiele da draußen gibt. Wenn man also Pen & Paper spielen will greift man mehr oder weniger zwangsweise zu D&D.
Wie meine ich das?
D&D hat als Platzhirsch noch nie die Notwendigkeit gesehen, sich besonders verständlich zu präsentieren. Das Spiel st so ähnlich wie Windows. Wenn man groß genug ist und es wenige Alternativen gibt, dann muss man nicht besonders benutzerfreundlich sein.
Ja, ja, es gibt unzählige andere Rollenspiel usw. Und hier in Deutschland wird die Situation ein wenig verzerrt, weil Das Schwarze Auge (kurz DSA) dominiert. Aber das ist, um in der Analogie zu bleiben, ein bisschen so wie die Windows-Konkurrenz durch Apple (DSA) and Linux-Distributionen (alle anderen Pen & Paper-Rollenspiele).
Für Nerds interessant, für die meisten aber entweder unbekannt oder zu speziell.
Besonders deutlich wurde die (mangelnde) Benutzerunfreundlichkeit in den 1980ern Jahren, wenn man die damals aktuellen Auflagen von AD&D und DSA verglich. DSA, die verhältnismäßig junge, deutsche Alternative zu AD&D, wurde vom Schmidt Spiele Verlag seinerzeit engagiert verbreitet.
DSA versuchte massiv neuen Leuten zu erklären, was denn dieses Rollenspiel überhaupt ist. In der Box von DSA 2 lag ein Solo-Abenteuer bei, das Menschen, die noch nie zuvor ein Rollenspiel gespielt hatten, an die Hand nahm und spielerisch die Grundlagen erklärte.
So etwas hat D&D seit der roten Box unterlassen.
Und auch 2024 kehrt D&D zu dieser old schooligen Tugend leider nicht zurück. Ein spielfertiges Solo- oder Einführungs-Abenteuer sucht man im PHB vergebens. Es gibt keinerlei spielfertiges Material. Besonders befremdlich finde ich, dass die aus der 2014er-Ausgabe bekannten Kapitel über Götter verschwunden sind, die ja mindestens für Kleriker wichtig sind.
Aber es gibt wenigstens ein paar Spielbeispiele. Vor allem werden Regeln hier ausführlich und systematisch und vor allem auch mit zahlreichen Beispielen erklärt. Nun gut, mag so mancher einwenden. Das haben die Vorgänger doch auch schon getan.
Nein, haben sie nicht. Jedenfalls nicht in dem Maße und nicht für Leute, die in ihrem Leben noch nie zuvor D&D gespielt haben oder von erfahrenen Dungeon Mastern, also Spielleiterinnen oder Spielleitern, herangeführt wurden, die mit anderen Rollenspielen sozialisiert wurden und/oder schlichtweg keine so detaillierten Regelwerke erfahren hatten.
Vieles wurde in vorherigen Ausgaben vorausgesetzt oder so dürftig und/oder unsystematisch erklärt, dass es nur für echte Nerds und/oder mithilfe einer vertiefenden Textinterpretation auf dem Niveau des Jura-Staatsexamens verständlich war. D&D war spätestens seit AD&D 1st Edition ein Spiel für Experten. Was ja der Name auch durchaus schon besagt, wie man fairer Weise zugestehen muss.
Nur hatte Wizards of the Coast 2000, als die dritte Edition erschien, AD&D ja wieder in D&D umbenannt (ich deutete an, dass es kompliziert ist …), aber vergessen zu erwähnen, dass das Spiel nun wirklich gar nichts für Anfänger und Gelegenheitsspieler war, sondern sich wirklich nur für Experten eignete.
Für AD&D-Experten, wohlgemerkt, nicht einmal für langjährige Rollenspieler. Ich habe im Laufe der Jahre genug Leute kennengelernt, die mit Spielen wie World of Darkness, RuneQuest, Midgard, Call of Cthulhu oder DSA 2 zum Hobby gekommen sind, und die D&D 3 schlichtweg nicht verstanden haben (Ich gebe gerne zu, dass ich dazugehöre).
Selbst GURPS war seinerzeit verständlicher. Und das soll was heißen (Sorry, kurzer Insider, GURPS muss heute nun wirklich niemandem mehr was sagen. Aber Kenner des Genres wissen, was ich meine.).
Die neue Edition des Player’s Handbook widmet sich für mein Gefühl das erste Mal seit der roten Box auch Anfängern. Zumindest in einem größeren Maße als bisher. So richtig einsteigerfreundlich ist D&D aufgrund seiner Komplexität natürlich immer noch nicht.
Kurzer Einschub: Während ich an diesem Blogeintrag arbeite, wird die neue Einsteigerbox von D&D Heroes of the Borderlands angekündigt. Nach allem, was ich bisher dazu gesehen habe, macht diese einen ganz soliden Eindruck und könnte ein guter Einstieg ins Hobby sein.
Warum man aber die Neuauflage mit dem Grundregelwerk für Experten beginnt und dann ein halbes Jahr später (!) das Einstiegsprodukt ankündigt, das dann fast ein Jahr später erst erscheint (!!) erschließt sich mir nicht (!!!?).
Ich stelle mir einmal kurz mein dreizehnjähriges Ich vor (das zum Glück mit den Fighting-Fantasy-Books ins Hobby gefunden hat, aber das ist eine andere Story) …
Ich bin heiß auf dieses Pen & Paper, von dem alle reden. Ich will einsteigen, recherchiere kurz und kaufe mir das PHB und möchte loslegen. Nach spätestens 30 Minuten werfe ich das Buch in die Ecke, weil ich nix kapiere.
Dann bin ich für das Hobby verloren. Und wenn ich dann noch, wenn überhaupt, erfahre, dass ein Starter-Set erscheint, der genau für mich konzipiert ist, ich aber schon mein Taschengeld in ein sauteure Buch investiert habe, das ich mir gar nicht hätte kaufen müssen …
Ach, was rege ich mich auf. Bleiben wir lieber bei der Beurteilung des Spielerhandbuchs.
Als großen Pluspunkt im Hinblick auf Verständlichkeit empfinde ich das Regelglossar am Ende des Buches, in dem alle Regelbegriffe noch einmal aufgelistet und kurz erklärt werden. So etwas Praktisches hat D&D in den letzten Jahrzehnten einfach nicht hinbekommen und man kann sich schon wundern, warum eigentlich nicht.
Schwamm drüber, jetzt ist es ja da. Und es ist super.
Trotzdem ist das neue Ringen nach Verständlichkeit für mich ein durchaus OSR-würdiger und lobenswerter Ansatz. Denn viele moderne Spiele der OSR-Welle bemühen sich ja darum, das alte Spielgefühl zu vermitteln, drücken sich aber viel, viel verständlicher aus als ihre Vorbilder.
Kleine OSR-Lichtblicke in einem Meer aus New School-Rollenspiel
Es gibt tatsächlich vereinzelte Elemente des Player’s Handbook 2024, die ich als eher old schooliger Spieler mag. Ein Beispiel dafür sind die Regeln für Schaden und den Tod von Charakteren.
Zwar ist hier ein – für Old School-Verhältnisse – recht komplexes Subsystem etabliert worden, das zudem nicht besonders tödlich ist. Aber eines, das dramatisch ist und viel Spannung aufbauen kann. Ein Effekt, der noch verstärkt wird, wenn man Ideen aus dem neuen Dungeon Master’s Guide hinzunimmt. Mehr dazu in einem späteren Beitrag.
Ja, es ist nicht neu. Auch diese Regeln haben sich im Vergleich zu D&D 2024 eigentlich nicht verändert. Aber, wie gesagt, sie sind noch nie so kompakt und verständlich präsentiert worden wie hier.
Das Konzept der Gesinnungen wird das erste Mal für mich ausführlich vernünftig erklärt und vor allem auch in Persönlichkeitsmerkmale übersetzt. Das ist wirklich ein Fortschritt.
Menschen, die mit D&D an Pen & Paper herangeführt wurden, hinterfragen Gesinnungen nicht. Viele, die von anderen Rollenspielen her kommen, verstehen erst einmal nicht, was zur Hölle Gesinnungen eigentlich sein und vor allem, wozu sie gut sein sollen.
Ich gestehe, dass ich mit dem 2024er PHB (nach Jahrzehnten!) Gesinnungen das erste Mal wirklich verstanden habe und vor allem auch das erste Mal begrüße und nicht als lästige Keywords empfinde, die nur dazu gedacht sind, irgendwelche Zauber auszulösen und die mir ansonsten beim Ausspielen meines Charakters ein lästiges Korsett anlegen.
Hinzu kommt, dass viele andere Persönlichkeitsmerkmale, die sich aus den Werten der Attribute ableiten lassen, nun auch ausgewürfelt werden können.
Auch das ist ein kleines, aber old schooliges Detail: Bei vielen Spielwerten wird nun dem Auswürfeln wieder der Vorzug gegeben. Es gibt immer noch die Option, Attribute, Trefferpunkte usw. nicht zufällig zu bestimmen. Aber diese wird eigentlich immer als eine der ersten Alternativen genannt.
Sehr old schoolig. Sehr liebevoll gemacht. Sehr unterhaltsam.
Da bekomme sogar ich Lust drauf, mal wieder einen D&D-Charakter zu erschaffen.
Denn das sind mit die ersten Dinge, die man für seinen Charakter bestimmt. Also lange vor der Wahl irgendwelcher Feats, Class Features, Spells und anderer Crunches. Rollenspiel geht hier zumindest der Reihenfolge nach vor Minimaxing.
Mir gefällt das.
D&D bleibt aber New School … nur mit kleinen Lichtblicken
Das sind aber lediglich kleine Lichtblicke im Zwielicht. Denn spätestens, wenn es um Magiewirker geht (und zaubern kann bei D&D beinahe jeder Charakter), zersplittert das Regelwerk wieder in unübersichtliche Subsysteme. Jeder magische SC in D&D 2024 hat mehr Regeln als im gesamten Buch von zum Beispiel Beyond the Wall enthalten sind.
Ich verstehe bis heute nicht, warum ich komplexe Tabellen benötige, um die Zahl der Zauber abhängig von der Stufe eines Charakters festzulegen, die dann auch noch von Klasse zu Klasse unterschiedlich sind. Warum ist die Charakterstufe nicht gleichbedeutend mit der Stufe und Anzahl der Zauber, die ich kann? Die Dinge könnten so einfach sein.
Beyond the Wall regelt das mehr oder weniger so und verzichtet auf das umständliche Memorieren von Zaubern und Spellslots. Versucht man einen Zauber, den man kennt, zu wirken, macht man einen Wurf. Klappt der Wurf, klappt der Zauber. Wenn nicht, dann nicht.
Mir hat sich noch nie erschlossen, worin der Reiz im Vorbereiten von Zaubern liegt. Schlimmstenfalls stelle ich fest, dass ich die falschen Zauber für den kommenden Tag memoriert habe und laufe die ganze Spielsitzung mit einem nutzlosen Charakter durch die Gegend, der besonders verletzlich ist.
Ich weiß, ich weiß, für andere stellt dies ein »Spiel im Spiel«, »Spielbalance« und »Optionen« dar, die für sie das Spiel erst spielenswert machen usw. Jedem das Seine. Für mich ist das nichts Wichtiges, sondern für den Spielspaß eher hinderlich.
Aber ich schweife ab, denn mit Old School vs. New School hat das wenig zu tun, da das Einprägen von Zaubern, Zauberstufen usw. ja eigentlich eher Old School ist. Aber nicht das gute Old School. Immerhin haben exakt diesen Mechanismus die meisten Retrospiele abgeändert. Aus gutem Grund, wie ich finde.
Schade, dass D&D nie den Mut gefunden hat, diese nun wirklich umständliche und abstrakte Regeln ebenfalls zu verändern.
Fazit
D&D wird mit dieser Edition kein Fest für OSR-Liebhaber. Es wird bestenfalls ein bisschen erträglicher und nostalgischer, aber auf keinen Fall das Spiel der ersten Wahl, zumindest nicht für mich. Ich finde es allerdings durchaus begrüßenswert, dass sich D&D optisch ehrlicher macht und inhaltlich wie vom Layout her versucht, Generationen und Stile von Spielerinnen und Spielern zusammenzuführen.
Denn machen wir uns nichts vor. D&D ist und bleibt das Aushängeschild des Hobbys. Dank Stranger Things, des Kinofilms Ehre unter Dieben von 2022 und Baldur’s Gate 3 kennt nun so ziemlich jeder Dungeons & Dragons.
Abgesehen davon arbeitet sich ja beinahe die gesamte Old School-Welle an D&D ab und nicht etwa an Klassikern wie RuneQuest oder RoleMaster, die ja genauso als Schablone für die Retrowelle herhalten könnten.
Da kann es nicht schaden, dass die neue Edition wenigstens ein bisschen Old School-Charme einfängt und möglichst vielen Spielstilen ein Angebot macht. Möge es auch noch so klein sein.
Mich wird das neue Player’s Handbook jedenfalls nicht zum D&D-Stammspieler machen. D&D 2024 bleibt eigentlich D&D 2014 und auch D&D 4, 3.5 usw. Die Dinge, die mich wirklich stören (s.o.) werden nicht angetastet, was verständlich ist, da sie in gewisser Weise das Markenzeichen darstellen.
Aber um im neuen Buch zu blättern und zu lesen und gelegentlich mal zu zocken, ist es durchaus okay und zumindest die beste D&D-Version, die ich seit Jahrzehnten in den Hände gehalten habe. Und hier und da erwärmte das neue Buch beim Lesen auch mein OSR-Herz und zauberte ein Lächeln auf meine Lippen.
Dafür hat es sich dann irgendwie doch gelohnt, es zu kaufen und zu lesen.