FBI-Agentin Clarice Starling jagt in »Das Schweigen der Lämmer« den psychopathischen Serienkiller Buffalo Bill. Ein Thriller. Steht auf dem Cover. Warum kein Krimi? Es gibt eine Detektivin. Klassische Spurensuche. Und viel Polizeihandwerk. Krimi-Zutaten also. Oder doch nicht?
Von Alexander Hartungs Jan-Tommen-Romanen bis Chris Karldens Speer-und-Bogner-Geschichten. Romane mit Polizisten, die einen Mörder jagen, werden immer wieder mit dem Etikett »Thriller« verkauft, obwohl sie eigentlich klassische Krimi-Elemente aufweisen.
Gleichzeitg gehören auch die Romane von Autoren wie zum Beispiel Dan Brown oder Douglas Preston und Lincoln Child in dieses Genre, in denen selten Kommissare auftreten und wenn dann meistens nichts als Hauptfiguren. Häufig geht es in ihnen auch nicht um einen Mord.
Andererseits gelten Romane wie die von Agatha Christie als Krimis. Wie in den Thrillern von Brown oder Preston und Child ermitteln hier Amateure und bringen Licht in dunkle Geheimnisse. Doch das Prädikat Thriller bleibt ihnen verwehrt.
Was ist das System dahinter?
Wie haben sich Thriller und Krimis mit der Zeit verändert?
Die Geburtsstunde des modernen Serienkiller-Thrillers stellt wahrscheinlich, wie bereits erwähnt, Thomas Harris‘ »Das Schweigen der Lämmer« dar. Ein grandioser Roman, in dem es nicht nur um Verbrechen, sondern vor allem um Psychologie geht. Wieso dieser Roman deswegen nicht als Psychothriller verkauft wird, ist mir deswegen schleierhaft. Aber das sei nur am Rande erwähnt.
Thriller, was heißt das eigentlich?
Das englische Verb »To thrill« heißt unter anderem so viel wie durchbohren, durchdringen. Im heutigen Sprachgebrauch ist damit ein Gefühlserlebnis gemeint, das sich zwischen Angst und Lust hin und her bewegt. Thriller sind also Romane (oder auch Filme), die zunächst einmal Lust an der Angst zelebrieren.
Das macht Thriller auch schwer vom Horror-Genre abgrenzbar. Der einzige große Unterschied zwischen Horror und Thriller ist der, dass im Thriller in der Regel keine übernatürlichen Elemente auftauchen. Aber auch das ist eher ein weiches Kriterium, das es auch übernatürliche Thriller und Horror ohne fantastische Zutaten gibt.
Vor allem dank der Verfilmung mit Jody Foster und Anthony Hopkins ist der »Das Schweigen der Lämmer« stilprägend geworden. Irgendwann im Laufe der 1990er Jahre hat sich so das bis heute gängige Bild des Thrillers durchgesetzt. Vor allem blutige Geschichten voller psychologischer Abgründe gelten im Allgemeinen auf dem deutschsprachigen Markt als Thriller.
Der moderne Thriller-Leser erwartet Gewalt bis hin zum Splatter und Einblicke in kranke Innenwelten.
Doch das war und ist nicht immer so. Noch bis Mitter der 1990er Jahre dominierten Autoren wie Michael Crichton das Thriller-Genre, der spätestens mit seiner Drehbuchvorlage zu »Jurassic Park« weltbekannt wurde. In seinen Romanen gibt es meistens nicht einmal einen Ermittler, ob nun Amateur oder Profi. Auch Gewaltdarstellungen spielen eine sehr untergeordnete Rolle.
Ihr Schwerpunkt liegt auf cleveren und geschickten Hauptfiguren, die einer außergewöhnlichen Gefahr trotzen müssen.
Mit aktuelleren Bestseller-Autoren des Thriller-Genres wie Dan Brown oder auch dem deutschen Schriftsteller Andreas Eschbach hat Crichton gemeinsam, dass er eher die Nähe zur Science Fiction als zum Horror sucht, wie es viele deutsche Moderen Thriller-Autoren tun (s. oben Thriller, was heißt das eigentlich?)
Auch Agenten- und Politthriller haben ebenso wie Militär-Thriller noch bis in die Nullerjahre die Buchregale bevölkert. Tom Clancy oder Frederick Forsyth sind hier bekannte Vertreter. Wer als aktueller Thriller-Fan, der mit Romanen von Autoren wie Martin Krist oder B.C. Schiller zum Genre gefunden hat, wird diese Romane nur unter Protest als Thriller erkennen.
Bis noch vor einigen Jahren war die Genredefinition also recht eindeutig. Romane, die besonders spannende waren, weil es in ihnen um große Bedrohungen und unerklärliche Geheimnisse ging, waren Thriller.
Sobald diese Romane im engeren Sinne Detektivarbeit beinhalteten, waren sie eher Krimis.
Krimi, was heißt das eigentlich?
Streng genommen ist ein Kriminalroman eine Geschichte, in der es um ein Verbrechen geht, das von Polizisten, Detektiven oder Amateurermittlern aufgeklärt wird. Die Grenze zum Thriller ist deswegen so fließend, weil in beiden Genres die Spannung im Vordergrund steht, die maßgeblich durch das Enträtseln eines Geheimnisses, häufig einen Mord, entsteht.
Während noch in Krimis zu Beginn des 20. Jahrhunderts die genialen Schlussfolgerungen der Detektive im Vordergrund standen, haben sich dank Autoren wie Edgar Wallace und nicht zuletzt auch Serien wie Jerry Cotton im Laufe des 20. Jahrhunderts die Darstellungen von Gewalt und Action als prägende Elemente immer weiter durchgesetzt.
Ist Thriller überhaupt ein eigenständiges Genre?
Ich vertrete den etwas provokanten Standpunkt, dass Thriller eigentlich gar kein Genre ist.
Robert Blochs »Psycho«, einer der ersten Spannungsromane mit einem psychopathischen Killer, wurde bei Erscheinen in den 1950ern schlicht als »Novel« mit dem Adjektiv »chilling« oder gar als »Chiller« bezeichnet. Im Prinzip bedeutet das das Gleiche wie Thriller, auch wenn wir heute unter Chillen dank Jugendsprache eher das Gegenteil verstehen.
Die Bezeichnung zeigt aber, worum es im Thriller im Kern geht. Der Leser soll gepackt, verblüfft und über die Maßen in Spannung versetzt werden.
Ob dies nun mittels Serienkiller, Dinosauriern oder einem russischen Spion, Nanorobotern, Viren oder Cyberspace erreicht wird, ob blutig oder unblutig, spielt keine Rolle.
Auch die ersten Krimis im 19. Jahrhundert haben genau dies bewirkt. Nur reichte dort dem Publikum das Nennen eines Verbrechens schon aus, um Grusel und Spannung zu erzeugen. Der moderne Leser. vor allem der Vielleser des Genres, braucht in der Regel jedoch heute stärkere Reize, damit dieselbe Wirkung erzielt werden kann.
Im Kern hat sich also wenig geändert. Nur die Dosis ist eine andere, denke ich.
In diesem Sinne würde ich sagen, dass der Thriller eigentlich kein Genre, sondern eine Erzählweise mit einer bestimmten Wirkungsabsicht ist. Insofern kann ein Krimi auch ein Thriller sein, wenn er entsprechend spannend ist. Umgekehrt muss ein Thriller aber nicht zwangsläufig Krimi-Elemente enthalten.
Häufig ist das aber der Fall. Nicht zuletzt wohl deswegen, weil die Kombination zwischen Krimi und Thriller schlicht ein großes Publikum erschließt, weil Krimi ein, wenn nicht sogar das beliebteste Roman-Genre ist.
Allerdings muss ich gestehen, dass meine Auffassung nicht der gängigen Einteilung in den Ladenregalen entspricht, ob nun virtuell oder im stationären Buchhandel. Thriller sind für die meisten Leser heute Romane wie Harris‘ »Das Schweigen der Lämmer«. Psychopathische Killer, Folter- und Tötungsmethoden stehen im Vordergrund.
Unter Krimi wird meinem Eindruck nach zur Zeit eine eher jugendfreie Art der Unterhaltung rund um das Verbrechen verstanden. Inzwischen ist Krimi beinahe gleichbedeutend mit Regionalkrimi und Cosy Crime.
Vom Krimi erwarten Leser inzwischen Milieuschilderungen, moralische Konflikte und am Ende eine Prise Humor, auch wenn er grimmig ausfallen mag wie in den Klassikern des Hard-Boiled-Krimis.
Wo genau verläuft die Grenze zwischen Thriller und Krimi?
Am Ende sind die Übergänge fließend. Jussir Adler Olsen hat den Unterschied für sich auf den Punkt gebracht.
Im Krimi geht es darum, ein Verbrechen aufzuklären. Im Thriller darum, es zu verhindern.
Keine schlechte Definition, wie ich finde.
Eine andere lautet. dass im Thriller der Held vom Schurken direkt mit dem Leben bedroht wird. Im Krimi eher nicht.
Beide Definitionen sind nicht unbedingt perfekt. Aber sie helfen.
Fazit
Ich persönlich finde es ein wenig schade, dass das Thriller-Genre zunehmend auf den psychopathischen Serienkiller verengt wird. Gelegentlich lese ich solche Romane auch gerne. Aber mir gefallen ebenfalls unblutige Thriller, wie sie zum Beispiel Melanie Raabe schreibt, die es in der Regel aber zur Zeit auf dem deutschen Markt, vor allem auf dem deutschen Selfpublisher-Markt, eher schwer haben.
Die Grenze zum Krimi verwischt dann natürlich. Aber warum sollte das schlimm sein? Am Ende ist es mir ziemlich egal, welches Genre auf dem Cover steht. Denn letztlich will ich vor allem ein spannendes Buch lesen. Dafür stehen für mich die Genres Krimi und Thriller.
Genrebezeichnungen werden letztlich auch ein Stück willkürlich verwendet. Es bleibt einem nicht erspart, sich selbst ein Bild zu machen und den eigenen Geschmack zu definieren.
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