Keine Frage, der Anfang eines Romans ist sein wichtigster Teil. Ist er nicht spannend, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Leser Ihr Buch schnell wieder aus der Hand legen.
Mit diesen Elementen gelingt ein spannender Einstieg in Ihr Buch:
1. Ein unerwartetes Ereignis, das die Welt des Helden durcheinanderbringt
Es ist wichtig, zu Beginn die Hauptfigur in ihrer Alltagswelt zu zeigen. Doch das ist keine Ausrede für Langeweile.
Alltag muss nicht gleich alltäglich im Sinne von dröger Routine bedeuten. Sie müssen Ihren Helden nicht beim Frühstück zeigen, wie er Zeitung liest und sich dabei in der Nase bohrt.
Falls doch, dann müssen diese banalen Ereignisse mit dem Unerwarteten aufgepeppt werden.
Fragen Sie sich, was geschehen könnte, das die Alltagswelt Ihres Helden auf den Kopf stellt? Natürlich muss dieses Ereignis etwas mit dem Plot zutun haben und ihn in Gang bringen.
Das Klingeln des Weckers hämmerte in Philip Wells Ohren. Ein Blick auf das Zifferblatt verriet ihm, dass es kurz nach fünf Uhr morgens war. Höchste Zeit zum Aufstehen, wenn er nicht zu spät im Büro erscheinen wollte.
Er quälte sich aus dem Bett und schlurfte zur Dusche, stellte sich in die Kabine und drehte den Hahn auf. Doch was auf ihn herab prasselte war kein Wasser …
Noch besser ist es, wenn Sie es schaffen, Ihren Helden in seinem Alltag zu zeigen, wie er gerade auch etwas Heroisches unternimmt. Denn das weckt Sympathie beim Leser.
- Setzt er sich für andere ein, ohne Rücksicht auf sein eigenes Wohl?
- Riskiert er etwas, um auf einen Missstand aufmerksam zu machen?
- Hilft er einer alten Dame über die Straße?
Achten Sie darauf, nicht in Klischees zu verfallen, aber solche Momente können eine große Wirkung erzielen.
2. Show Don’t Tell
Gerade zu Beginn eines Romans ist dieses Prinzip wichtig. Die Gefahr, den Leser durch lange Hintergrundgeschichten zu langweilen und damit zu verlieren, ist am Anfang besonders groß.
Show Don’t Tell?
Salopp übersetzt bedeutet dieser englische Fachbegriff: Zeigen Sie dem Leser die Handlung Ihres Romans, erzählen Sie sie nicht. Was damit konkret gemeint ist, lässt sich schnell an einem Beispiel deutlich machen.
- Peter war heiß. (Tell)
- Peter wischte sich mit dem Handrücken die Schweißperlen von seiner glühenden Stirn. Seine Haut fühlte sich klebrig an. (Show)
Haben Sie’s gemerkt? Der zweite Text gibt Lesern die Chance, mitzufühlen. Der erste macht es zumindest schwerer, sich in Peter hineinzuversetzen.
Natürlich müssen Sie nicht jede Handlung und jedes Ereignis zeigen, sondern dürfen in einem Roman auch stellenweise erzählen. Aber lieber nicht im Anfang.
Der Grund dafür ist einfach: Langes Erzählen spricht nur den Intellekt des Lesers an. Zeigen weckt seine sinnliche Wahrnehmung, seine Gefühle. Wird der Leser emotional angesprochen, steigert das die Wahrscheinlichkeit, dass er sich auf den Roman einlassen wird.
Der Autor hat das Bedürfnis, dem Leser zu Beginn der Handlung viel zu erzählen:
- Wer ist die Perspektivfigur?
- Woher kommt sie?
- Was will sie?
- Wo hält sie sich gerade auf?
- Wie sieht es da aus? Usw.
Beginnen Sie Ihren Roman mit einem Konflikt, einem intensiven, sinnlichen Erlebnis. Der Hinweis auf ein Geheimnis ist das Mindeste. Nachdem Sie den Leser gepackt haben, gibt es immer noch genug Zeit, um ihm alles Mögliche zu erzählen. Machen Sie es umgekehrt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Ihr Leser nie zu den spannenden Teilen durchhält.
Joleen ahnte, dass dieser Tag der schlimmste ihre Lebens werden würde, als sie mit dem Fuß auf das Bremspedal ihres Golfs hämmerte, der Wagen aber nicht langsamer wurde.
Wollen Sie jetzt nicht gerne wissen, wie es weitergeht?
3. Legen Sie die Basis für Ihren Roman
Schon im ersten Absatz, bestenfalls im ersten Satz, muss der Leser erkennen können, zu welcher Zeit und wo die Handlung spielt, wer die Perspektivfigur ist und was für ein Buch er da eigentlich liest.
Ein Fantasyroman muss anders beginnen als ein Thriller, muss anders beginnen als ein Landhauskrimi, ein SF-Roman, ein Buch für Erwachsene, ein Kinder- oder Jugendbuch usw. …
Um zu trainieren, wie der Anfang Ihres Fantasy-Romans oder Thrillers usw. klingen sollte, hilft es, einfach mal die ersten Seiten der Lieblingsromane Ihres Genres hintereinander zu lesen.
- Was haben sie gemeinsam?
- Woran erkennen Sie auf den ersten Blick, zu welchem Genre der Roman gehört?
- Woran erkennen Sie auf den ersten Blick, für welche Altersgruppe und generell für welche Zielgruppe der Roman geschrieben ist?
- Wie wird das Setting eingeführt?
- Wie wird die Hauptfigur eingeführt?
- Wie wird der Leser gepackt und vor allem welche Emotionen werden geweckt?
Nein, das Cover zählt jetzt ausnahmsweise mal nicht …
Wundern Sie sich nicht: Unterschiedliche Autoren desselben Genres haben hier durchaus unterschiedliche Ansätze. Eben das macht Literatur ja so spannend und Sie können nach einer gründlichen Analyse aus dem Vollen schöpfen und sich überlegen, welche Methoden zu Ihnen und Ihrem Roman am besten passen.
Hüten Sie sich als Erstautor vor dem Gedanken »Ich mach das ganz anders als alle anderen und revolutioniere mein Genre.« Verschieben Sie diesen Ansatz auf Ihr zehntes oder zwanzigstes Buch, wenn Ihre Romane regelmäßig in den Top 10 der Bestsellerlisten erscheinen.
4. Etabliere Sie Ihre Erzählstimme
Genauso wichtig wie der Konflikt und die Informationen, die in den ersten Sätzen vermittelt werden, ist die Erzählstimme des Romananfangs. Vielleicht ist sie sogar noch wichtiger. Das hängt auch ein wenig vom Genre ab.
Der Erzähler eines Kinderbuches benutzt andere Sätze und Wörter als der eines Hard-Boiled-Krimis.
Lea rieb sich die Augen. Die Sonne kam hinter den Wolken hervor und kitzelte ihre Haut. Dieser Tag wurde mit jeder Sekunde schöner. Pfeifend griff sich hier Fahrrad und radelte los.
Rupert Grass formte seine Augen zu Schlitzen, als er aus dem Büro torkelte. Verdammtes Sonnenlicht. Das war nicht seine Zeit. Er fingerte in den Tiefen seines Trenchcoats nach seinen Zigaretten. Vergebenes. »Ach Scheiße. Wieder so ein Tag.«
Bestimmt können Sie erraten, welcher Satz zu welchem Genre gehört.
5. Überarbeiten, Überarbeiten, Überarbeiten
Sie sollten Ihren ganzen Roman nach dem Schreiben des ersten Entwurf gründlich, und das bedeutet mehrfach, überarbeiten.
Wenn Sie Ihre Leser respektieren, überarbeiten Sie den Anfang Ihres Romans doppelt so oft wie den Rest. Hier müssen Sie als Autor wirklich alles geben.
Andererseits sollten Sie aber auch nicht an den ersten Seiten Ihres Manuskripts festkleben. Deswegen ist es so wichtig, dass Sie erst schreiben und dann überarbeiten. Und nicht schreiben, überarbeiten, wieder ein wenig schreiben usw.
Scheuen Sie auch nicht davor zurück, mehrere alternative Anfänge für Ihren Roman zu schreiben, um herauszufinden, welcher am besten funktioniert.
Es kann auch gut sein, wenn Sie ein anderes Kapitel als das erste für den Anfang Ihres Romans wählen. Manche Autoren müssen sich warmschreiben, bevor sie so richtig zur Sache kommen. Dann kann es sein, dass die ersten ein, zwei oder drei Kapitel zwar für Sie wichtig waren, um in die Geschichte zu finden, aber nicht für den Leser spannend sind.
Gerade, wenn Sie Erstautor sind, beenden Sie immer den ersten Entwurf Ihres Manuskripts, bevor Sie es überarbeiten. Lassen Sie sich nicht davon irritieren, dass manche Profis es anders machen. Die sind eben Profis. Für die gelten etwas andere Regeln. Sie haben gelernt, sich in der Überarbeitung nicht zu verzetteln.
Wenn Sie während des Schreibens schon mit der Überarbeitung beginnen, kommen Sie vielleicht nie über den ersten Satz, die erste Seite oder das erste Kapitel hinaus. Oder Sie brauchen unverhältnismäßig lange und verlieren unter Umständen die Lust an Ihrem Projekt.
Natürlich ist es Ihre Entscheidung, wie genau Sie vorgehen, aber ich habe Sie gewarnt.