»Ich liebe Deadlines. Sie machen ein tolles Geräusch, wenn Sie an einem vorbei rauschen« So Douglas Adams. Nicht wenige Autoren fürchten Abgabetermine und starren auf sie wie das Kaninchen auf die Schlange. Sie fürchten, dass sie zu großen Druck ausüben. Druck, der ihre Kreativität einengt. Tatsächlich ist es sinnvoll, sich beim Schreiben Grenzen zu setzen.
Lange Zeit habe ich die Arbeit an einem neuen Roman damit begonnen, dass ich in einem neuen Projekt 30 Karteikarten in Scrivener erzeugte. Schritt für Schritt füllte ich sie mit Material für einzelne Szenen. Ganz klar. Drei Akte. Je zehn Karteikarten. Ergibt 30. Dann las ich das wunderbare Schreibbuch von Blake Snyder »Rette die Katze!«. Es revolutionierte meinen Schreibprozess.
Seitdem arbeite ich mit 40 Karteikarten.
Spaß beiseite. Mich beeindruckte an Snyder, dass er seinen Studenten für den Plot eines Drehbuches exakt 40 Karteikarten überließ. Also 40 Szenen, in denen sie ihren Plot entwickeln sollten. Nicht mehr und nicht weniger. Als ich das das erste Mal las, dachte ich, was wahrscheinlich jeder denkt.
»Was für ein Quark. Wozu soll das gut sein?«
Bei meinem aktuellen Projekt zog ich es einfach mal durch. Ich beschränkte mich also auf genau 40 Karteikarten. Natürlich geriet ich in die Versuchung, noch mehr Szenen einzufügen. Es entwickelten sich Ideen, die sich in meinen Kopf festsetzten. Elemente, die ich mochte und auf die ich geradezu brannte, sie zu schreiben.
Aber die 40-Karteikarten-Grenze bewirkt geradezu automatisch, dass man den guten alten Grundsatz »Töte deine Lieblinge« befolgt. Das ist ein quälender Prozess, der einem nicht nur gute Gefühle einbringt. Doch er bewirkt, dass man sich viel, viel intensiver mit dem Plot auseinandersetzt.
»Töte deine Lieblinge«?
»Kill your darlings!«, also »Töte deine Lieblinge«, ist ein geflügeltes Wort aus der Drehbuch-Szene. Kurz gesagt soll dies einen Autor dazu anregen, bei den Elementen eines Romans, die ihm besonders am Herzen liegen, genau hinzusehen. Und sie im Zweifelsfall lieber zu streichen. Denn hier lauern häufig langatmige und langweilige Stellen. Nicht immer ist das, was wir beim Schreiben toll finden, auch wirklich spannend für Leser. »Kill your darlings!« führt dazu, weniger betriebsblind zu sein.
Schmerzlich musste ich also dank Snyder einige meiner Lieblinge töten. Und ich hatte schlaflose Nächte deswegen.
- Welche Szene soll rein?
- Welche fliegt raus?
- Warum?
- Wie entscheide ich das?
- Entscheide ich mich richtig?
Am Ende blicke ich jetzt auf mein fertiges Treatment und nicke zufrieden mit dem Kopf. Ich bin auf ganz neue Ideen gekommen, Inhalte miteinander zu verbinden und noch packendere Szenen zu erschaffen. Das meiste wurde jedoch ersatzlos gestrichen. Und wenn ich mir das Treatment jetzt anschaue, stelle ich fest, dass es spannend und abwechslungsreich geworden ist.
Was ist ein Treatment?
Ich muss gestehen, dass ich einen Hang dazu habe, mich beim Planen und Schreiben eines Romans am Drehbuchschreiben zu orientieren. Vordergründig bewundere ich die strukturierte und ökonomische Art des Erzählens von Drehbuchautoren. Aber wenn ich ehrlich bin, finde ich es einfach cool, mir vorzustellen, dass am Ende meines Projekts ein Film stehen könnte. Ja, etwas albern, aber wenn es mich beim Schreiben beflügelt, warum nicht?
Ein Treatment bezeichnet beim Drehbuchschreiben eine frühe Fassung der Handlung. Die Szenen werden nur kurz skizziert. Treatments dienen anderen Drehbuchautoren, um aus ersten Ideen ein fertiges Skript zu entwickeln. Außerdem funktionieren sie als Übersicht, bevor man sich ans eigentliche Schreiben macht. So nutze ich es.
Manche sagen auch Stufendiagramm, Szenenplan oder Kapitelübersicht dazu. Aber wenn ich das Ding Treatment nenne, macht es mir einfach mehr Spaß.
Es ist in meinen Augen also gut, der eigenen Kreativität Grenzen zu setzen wie diese 40-Karteikarten-Richtlinie von Snyder. Grenzen verleihen einem Projekt Form und bewirken, dass man noch kreativer wird und auf neue Ideen kommt, mit denen man zuvor nicht gerechnet hat.
Mögliche Grenzen sind
- Deadlines
- Handlungsstrukturen
- Plotmuster
- quantitative Grenzen
Ja, Grenzen engen ein. Und es gibt einen Teil des Gehirns, der diese Einengung als unzumutbar und schmerzhaft empfindet. Es ist ein Kampf, die selbst gesetzten Grenzen nicht zu überschreiten. Aber am Ende dieses Kampfes steht ein besserer Roman.
Natürlich ist es nicht sinnvoll, sich von Anfang an Grenzen zu setzen. Es muss eine Phase geben, in der man seiner Fantasie freien Lauf lässt. Ich nenne sie die Brainstorming-Phase, die ganz am Anfang eines Projekts steht.
Welche Grenzen genau für den kreativen Prozess förderlich sind, muss jeder selbst wissen. Hier eine einheitliche Empfehlung zu geben, wäre Wahnsinn. Das wäre so, als wenn man eine Hosengröße schneidern würde und meinte, diese müsste jetzt jedem Menschen auf der Welt passen.
Und jetzt mal Hand aufs Herz – genau 40 Szenen in jedem Roman? Echt jetzt?
Natürlich nicht. Es wäre schon befremdlich, wenn jeder Roman auf der Welt genau 40 Szenen beinhalten würde. Meiner Erfahrung nach, bleibt es nicht bei 40 Szenen.
Um noch einmal die Filmwelt zu bemühen: Auch hier ist der fertige Film kein 1:1-Abbild des Drehbuchs, geschweige denn des Treatments. Das abgedrehte Material wird geschnitten. Und es gibt Nachdrehs, wenn man beim Schneiden merkt, dass noch Szenen fehlen.
Beim Schreiben des Romanmanuskripts ergeben sich dramaturgische Notwendigkeiten, die ich beim Planen nicht vorhersehen kann. Und Testleser wirbeln das Ganze noch einmal durcheinander, wenn sie meinen, dass ihnen hier und da eine Szene fehlt. Andere Stellen sind ihnen zu langatmig. Auch Lektoren haben ja noch ein Wörtchen mitzureden und, und, und …