Kennen Sie das? Da schreiben Sie nichtsahnend an Ihrem Roman und plötzlich fällt Ihnen auf, dass Sie nicht wissen, wie der Schurke Ihrer Geschichte eigentlich so schurkisch geworden ist. Kein Problem, denke Sie. Eine zusätzliche Szene hier ein weiteres Kapitel dort … und schon wirkt Ihr Roman aufgebläht und langweilig. Ihre Verzweiflung wächst, das ganze Projekt, das so vielversprechend begonnen hat, ist nur noch doof. Sie löschen es frustriert und wütend und fangen ganz von vorne mit einem neuen Projekt an. denn jetzt wird alles besser. Ganz sicher.
So erging es mir jedenfalls früher. Lange Zeit dachte ich, mein Problem wäre, dass ich keine guten Ideen hätte, ich einfach nicht plotten oder keine Figuren entwerfen könnte.
Ich begann immer wieder hoffnungsvoll neue Manuskripte. Natürlich verlief jedes Projekt genauso wie das vorige, denn ich mache genau den gleichen Fehler wieder und wieder. Es hat mich Jahre gekostet, diesen Fehler dingfest zu machen. I
Ich habe mir nicht genug Mühe mit dem geheimen Plot gegeben.
Was ist der geheime Plot und wozu soll der gut sein?
Ja, es gibt einen geheimen Plot, die Handlung im Off, die nie ein Leser je zu sehen bekommt. Und eben weil der Leser den Plot hinter dem Plot nie lesen wird, hatte ich früher nie Lust dazu, mich mit ihm zu beschäftigen. Stunden, Tage, Wochen oder sogar Monate in etwas investieren, was niemand je lesen wird? Das habe ich schon mit den Figuren gemacht. Jetzt auch noch mit dem Plot? Wozu?
Ganz einfach: Weil die Alternative lautet, dass ich Jahre damit verliere, einen Entwurf nach dem nächsten in den Sand zu setzen.
Die Geschichte des Schurken
Der Plot hinter dem Plot ist zu einem großen Teil die Geschichte des Schurken. Für viele Geschichten gilt, dass sie eigentlich gar nicht die Geschichte des Helden sind, aus dessen Perspektive sie meistens erzählt werden. Sie sind in Wirklichkeit die Geschichte des Schurken. Nur merkt das kaum einer.
Der Held ist die Sympathiefigur. Wir leiden und fiebern, lachen und weinen mit ihm. Aber der stille Arbeiter im Hintergrund, der das Geschehen in Gang setzt, ist der Schurke.
Der Schurke begeht den Mord, den der Ermittler aufklären muss. Der Schurke bastelt den Ring, sie alle zu knechten, auf Ewig zu binden. Der Schurke baut den Todesstern und tötet Onkel Owen und Tante Beru, so dass Luke ins All aufbricht und zum tollsten Jedi aller Zeiten werden kann. Ohne Schurken würde Luke Skywalker heute noch Rübenfelder wässern.
So wichtig es ist, einen tollen Helden zu entwerfen und zu wissen, was er alles in meinem Roman tun wird und was er alles kann, umso wichtiger ist es, noch viel mehr den Schurken gut zu kennen.
Was bisher geschah …
Es reicht nicht, nur die Motivation des Schurken zu entwerfen. Sie müssen auch noch wissen, welche Ereignisse alle dazu geführt haben, dass der Schurke so schurkisch ist. Für den Plot ist es unabdingbar zu wissen, wie sein Plan aussieht, welche Schritte er unternimmt, um dem Helden das Leben schwer zu machen und was er alles bereit ist, dafür zu riskieren.
Jede Handlung des Schurken sollte auf Plausibilität und Effektivität abgeklopft werden, bevor Sie mit dem Schreiben beginnen, auch wenn diese Schritte der Handlung wahrscheinlich nie in den Romantext einfließen werden. Und dazu müssen Sie sie im Rahmen Ihres geheimen Plots planen, genau so wie alle Teile, die der Leser in der »offiziellen« Handlung erfährt.
Was noch so alles geschieht …
Aber mehr noch. Während Sie die Geschichte Ihres Helden auf dem Weg zum Ruhm plotten, müssen sich außerdem wissen, welche Strippen Ihr Schurke im Hintergrund zieht. Das kann bedeuten, dass Sie einen Nebenplot aufmachen, sodass Ihr Roman zwei Handlungsstränge besitzt, die der Leser sieht. Doch das muss nicht sein.
So oder so können Sie jedoch erst entscheiden, was Sie dem Leser alles zeigen wollen, wenn Sie die ganze Geschichte auch wirklich kennen. Das bedeutet, dass Sie sowohl den geheimen als auch den offiziellen Plot durch und durch vor Augen haben müssen.
Woher soll man wissen, was der Leser sehen sollte und was nicht?
Fragen Sie sich: Ist es für die Geschichte wirklich gut, wenn der Leser dem Schurken bei der Arbeit zuguckt? Häufig ist es spannender, seine Taten im Dunkeln zu lassen und nur deren Konsequenzen zu zeigen. Gerade im Krimi wäre es meistens fatal, schon auf den ersten Seiten den Plan des Schurken zu entfalten.
Die Faustregel lautet: Je mehr Sie dem Leser vom geheimen Plot verraten, desto eher verschiebt sich der Fokus Ihrer Geschichte von der Handlung auf die Figuren. Denn wenn es nichts zu Rätseln gibt, besteht die Spannung darin, dem Helden und dem Schurken bei ihrer Arbeit zuzusehen. Lassen Sie den geheimen Plot auch weitgehend geheim, fragt sich der Leser um so mehr, was denn eigentlich vor sich geht.
Am geheimen Plot zu arbeiten bedeutet viel harte Arbeit. Am Ende macht sie sich bezahlt und erspart Ihnen unter Umständen und noch mehr Arbeit. Und Frust.