Wann sind viele Bücher zu viele Bücher?

wann sind viele bücher zu viele bücher

Ich kann das Gefühl der Erleichterung, als ich meine Papierbibliothek aufgelöst habe, gar nicht beschreiben. Ich wohne in einem Haus mit so gut wie keinem Stellplatz für Regale. Ich hatte schlaflose Nächte, in den ich mich fragte, wohin mit meiner Bibliothek. Ja, sogar in meinen Träumen verfolgten mich meine Platzprobleme und ich ersann immer wieder neue Systematiken zum Sortieren. Oder sollte ich sagen, in meinen Albträumen?


Warum stellt sich die Frage nach einer Obergrenze für Bücher?

Spätestens seit ihrer neuen Netflix-Serie ist Maria Kondo, die Expertin fürs Aufräumen und Entrümpeln, wieder in aller Munde. Die quirlige Japanerin mit einem missionarischem Hang zum Minimalismus empfiehlt, Bücher wie jeden anderen Gegenstand im Haushalt einer Kosten-Nutzen-Rechnung zu unterziehen. Verstaubt ein Buch im Regal und wird nicht mehr gelesen, sollte es entsorgt werden. Sonst stellt es einen seelischen und physischen Ballast dar, der zu Depressionen führen kann. Die Empfehlung, Bücher nicht zu horten, hat in den sozialen Netzen viele Menschen erzürnt. Bücher seien halt nun einmal etwas ganz Besonderes. Deswegen dürfe man sie nicht beseitigen wie das Teeservice, das man nie benutzt, und nur aufhebt, weil es ein Erbstück von Tante Erna war.


Nüchtern betrachtet: Bücher sind Staubfänger. Die meisten Bücher werden selten mehr als einmal (wenn überhaupt) gelesen. Stattdessen

  • stehen sie herum,
  • verkleinern den Wohnraum,
  • sorgen für weniger Licht in der Bude und
  • binden eine Menge Zeit und psychischer Energie, weil man sie immer wieder abstauben, suchen und sortieren muss.

Wenn man also darüber nachdenkt, muss es eine Obergrenze für Bücher geben. Irgendwann lebt man nicht mehr in einem gemütlichen Heim, sondern in einer Bibliothek. Und das will man bestimmt genauso wenig, wie man in einem Museum, Fitnessstudio oder in einer Spielhalle wohnen möchte.

Die Frage ist also nicht, ob es zu viel wird mit den Büchern, sondern nur ab welcher Anzahl die persönliche Schmerzgrenze beginnt. Diese dürfte sehr individuell sein. So gut wie niemand ist bestimmt der Meinung, dass gar keine Bücher ideal wären (zumindest ich bin das nicht).

Umgekehrt kann die Grenze nach oben hin aber auch nicht beliebig offen sein. Die etwas willkürliche Zahl von 30 Büchern, die in Diskussionen hier und da immer wieder genannt wird, mag manchen radikal vorkommen. Aber ich denke, diese oder eine ähnliche Zahl ist durchaus vernünftig, da sie einen dazu zwingt, genau darüber nachzudenken, ob man nun wirklich jedes einzelne Buch unbedingt für die Ewigkeit konservieren muss.


(vermeidlich) gute Gründe, sich nicht von Büchern zu trennen:

  • Ich bin Autor, ich will doch, dass andere meine Bücher ebenfalls wie Schätze hüten und nicht einfach so weggeben.
  • An vielen Büchern hängen Erinnerungen.
  • In Büchern steckt so viel wichtiges Wissen.
  • Manche Bücher sind liebevoll gestaltet und damit echte Kunstwerke.
  • Die waren doch mal so teuer.

Und die Liste ließe sich mit weiteren mehr oder weniger sentimentalen Begründungen noch lange fortsetzen. Doch am Ende läuft es, wenigstens für mich, darauf hinaus, dass es eben sentimentale, keine rationalen Gründe sind.


Nun sind sentimentale Befindlichkeiten nicht bedeutungslos. Doch sie müssen wie alle anderen Argumente im Leben auch abgewogen werden. Was macht mich glücklicher, eine umfangreiche Privatbibliothek oder ein aufgeräumtes zu Hause? Und wenn man ehrlich ist, ist es einfach nur bequemer, die Bücher im Regal zu lassen, als aktiv auszusortieren und einen Weg zu finden, sich von den Papierbrocken zu trennen.

Ist die private Bibliothek wirklich funktional, dann gibt es ja auch keinen Grund, Bücher wegzugeben. Funktionalität bedeutet in meinen Augen, dass die Bücher häufig und mit Gewinn gelesen werden und dass sie einen mental auch nur dann beschäftigen.

Bücher dürfen einem keine Zeit rauben, in der man Gedanken daran verschwendet, wie man sie aufbewahrt oder sortiert. Zeit und Gedanken, die man lieber in die Beziehung mit anderen Menschen oder in kreative Projekte investieren könnte. Andernfalls beschäftigt man sich ja nicht mit dem Inhalt der Bücher, sondern nur mit ihrer physischen Gestalt. Und das ist ja nicht der Sinn eines Buches.

Die Ankunft des Kindle war in meinem Leben für mich so was wie eine Erlösung. Tatsächlich habe auch ich mich eine Weile an den Gedanken, Bücher auf dem Bildschirm zu lesen, gewehrt. Nachdem ich jedoch erkannte, dass ich dank E-Books gar keine Regale mehr brauche und mir auch keine Gedanken mehr machen muss, wie ich Bücher aufbewahre und sortiere, war das für mich ein Grund zum Feiern.

Ich habe sehr viele meiner Bücher entsorgt und beschränke mich seitdem auf ein Minimum an Fachbüchern oder besonders schön gestaltete Bücher. Brauche ich wirklich mal ein gedrucktes Buch, kaufe ich es, lese es, exzerpiere, was wirklich wichtig ist, scanne die bedeutenden Teile ein oder fotografiere wichtige Passagen und gebe es dann weiter.


Die Vorteile des Kindles (oder eines jeden anderen E-Book-Readers) gegenüber einer physischen Bibliothek:

  • Keine Obergrenze für die Anzahl der Bücher (dank Cloud-Anbindung)
  • Bücher werden automatisch sortiert und bleiben mit der Suchfunktion jederzeit leicht auffindbar
  • Die Suchfunktion ist jedem gedruckten Index oder Inhaltsverzeichnis meilenweit überlegen
  • Ich habe meine Bibliothek dank Handy-App immer und überall dabei
  • Hervorhebungen und Notizen können ganz genauso gemacht werden wie bei gedruckten Büchern
  • Social-Reading
  • Viele Bücher sind als E-Books billiger als gedruckt
  • Neue Bücher lassen sich mit einem Fingertipp kaufen und sind binnen von Sekunden auf dem Lesegerät
  • Interessante Bücher kann man dank ausführlicher Leseproben in Ruhe testen, bevor man sie kauft
  • Fehlkäufe kann man innerhalb von 14 Tagen ohne Diskussion wieder zurückgeben
  • Die eigene E-Book-Bibliothek kann man mit Familie und Freunden teilen, sodass alle was davon haben
  • E-Book-Gutscheine stellen für Leseratten tolle Geschenke für Geburtstage und Weihnachten dar
  • E-Books lassen sich abends im Bett ohne Leselampe lesen, sodass man den Partner nicht stört

Die Nachteile von Kindle und Co (also echte, keine sentimentalen, wie z.B. »Das Papier riecht so gut.«):

  • Kein Strom, keine Bücher
  • Eingeschränkte Funktionalität ohne Internet
  • Einzelne Bücher lassen sich nicht beliebig verleihen
  • E-Books lassen sich nicht wirklich signieren

Für mich das Schönste daran, wenn ich mich von gedruckten Büchern trenne:

Es ist ein befriedigendes Gefühl, andere Menschen damit glücklich zu machen, indem man ihnen Bücher schenkt. Ein breites Grinsen in den Gesichtern meiner Freunde zu sehen, wenn ich ihnen einen Stapel Bücher in die Hand drücke, ist für mich persönlich viel, viel schöner, als das Buch im Regal versauern zu lassen.